Zoff im Garten des Lebensort Vielfalt. Zweiter Akt. Vorhang auf und alle Fragen offen. Oder 35 Jahre Schwulenberatung Berlin – Eine Erfolgsgeschichte

„Ich mach da nicht mehr mit!“ sagt einer, der sich vier Jahre lang erfolgreich in eine Gemeinschaft eingebracht hat, zusammen mit seinem ebenfalls liebenswerten und sympathischen Mann, die ihn jetzt zu ersticken droht. Einer, der sich dagegen wehrt, unterzugehen. Und ich hoffe sehr, dass ihm das gelingt.Wahr ist auch, dass eine besondere menschliche und künstlerische Sensibilität wirksam ist, die sich wie ein roter Faden in einem Leben bemerkbar macht, das sich jetzt feindlich umzingelt fühlt. Im Rahmen eines Gemeinschaftsprojekts, das den Anspruch hat, allen Nutzern gerecht zu werden, also ihrem Nutzen zu dienen. Was eine echte Herausforderung ist und den Eindruck vermittelt, für alle, soweit daran beteiligt,  eine lebenslange Aufgabe zu bleiben. Unterm Damoklesschwert der Furcht davor, nie ans Ziel zu gelangen. Weshalb im Moment der Punkt erreicht ist, an dem ein Tropfen genügt, um ein Fass zum Überlaufen zu bringen.

Anlass dafür: Ein Streit um Steine und Kompetenzen zwischen unterschiedlichen,  im Garten des Lebensort Vielfalt unabhängig voneinander agierenden Parteien. Die alle ein Ziel haben, ihn zum Aushängeschild des Hauses zu machen, einem Projekts der Schwulenberatung Berlin.  Mit dem Unterschied: dass  die  Mietergemeinschaft auch dem Wunsch und Bedürfnis genügt, mit dem Garten auch über eine Erweiterung ihres gemeinschaftlichen Lebensraums zu verfügen. Als Voraussetzung dafür, damit zur Verbesserung  ihrer Lebensqualität beizutragen. Was der entscheidende Punkt und Unterschied  ist. gegenüber allen anderen Parteien, die sich abends und am Wochenende ausklinken und den Erfordernissen des eigenen privaten Lebens zu genügen.

Der Streit um von zwei Seiten beanspruchte rote Backsteine als Blumenbeet-Einfassung ist sekundär, hat also nur einen auslösenden Effekt, weil die Ursache des Konflikts tiefer liegt. Schließlich sind die Mieter des Projekts seit vier Jahren jeden Tag im Einsatz sind, im Rahmen des  Programms gegenseitiger Unterstützung und gutnachbarschaftlicher Beziehungen,; haben inzwischen aber den Eindruck gewonnen, es dabei mit einer nicht abreißenden, lebenslangen Aufgabe zu tun zu haben. Im Gefühl, auf der Stelle zu treten und sich keinen Millimeter voran zu bewegen. Weil davon auszugehen ist, dass Probleme über die Eigenschaft verfügen, nie abzureißen.

Einige haben begriffen, mit der aktiven Teilnahme am Gemeinschaftsprojekt  nicht zuletzt und vor allem, sich selber zu nützen; davon ausgehend, damit zur Vermehrung der eigenen Lebensqualität beizutragen. Eine Minderheit dagegen übt sich von Anfang an in der Haltung passiven Widerstands. Sich allen gemeinschaftlichen Ansätzen und Ansprüchen entziehend. Sich scheinbar selbst genügend, aber gleichwohl den Eindruck vermittelnd, auf einer Ebene mit Rainer Werner Fassbinders Protagonisten zu agieren – im gleichnamigen Film mit ihm:  „Ich will doch nur, dass ihr mich liebt!“

Einer unserer Nachbarn, in einem nicht abreißenden Nachbarschaftsstreit zermürbt, hat inzwischen das Handtuch geschmissen und ist nach drei Jahren ausgezogen, weil er die Faxen dicke hatte, wie der Berliner sagt.

Andere wiederum haben sich aus Altersgründen für immer von uns verabschiedet. Unter ihnen auch Gottfried, als dem mit 85 Jahren ältesten Mitbewohner und Gesicht und Aushängeschild des Projekts. Und das beste Beispiel dafür, durch die aktive Teilnahme am sozialen Leben durch mehr Lebensqualität zu profitieren. Er war es auch, der seine Lebenserfahrung  zum Ausdruck brachte, als er davon ausging: „Mit Frauen unter einem Dach ist der Zoff vorprogrammiert!“

Wie es dann auch der Fall war, aber anders als man denkt. An dieser Stelle möchte ich Gottfried meine Referenz erweisen und mich vor ihm  verbeugen, weil er nicht nur der Älteste,  sondern auch der mutigste war, als es sich darum handelte, eine Pressekonferenz zu nutzen, um seine Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen. Darüber, anders, anders als vereinbart, über keinen erhöhten Toilettensitz in seiner Wohnung zu verfügen, um damit die  Beschwernis eines künstlichen Hüftgelenks zu kompensieren.Was im Rahmen der umfangreichen, anderthalb Jahre dauernden Umbaumaßnahmen auf der Strecke geblieben ist. Mehrfache Hinweise darauf waren nicht genug, es bedurfte der öffentlichen Kritik daran, beim Scheißen erhebliche Beschwerden zu haben, um seinen Vermieter zu veranlassen, Abhilfe davon zu schaffen.

Zoff einer Minderheit von Mietern mit einer Mehrheit von ihnen, gab es in der Tat. Wobei eine überwiegende Zahl weiblicher Mitbewohner/innen Anspruch auf den Garten als ihren  persönlichen Lebensraum erhob. In der Absicht, diesen gegenüber anderen Nutzern abzuschotten und dicht zu machen. Dem stand eine  männlich dominierte Mehrheit gegenüber, die mindestens ahnte, dass dies dem offenen Charakter des Hauses der gelebten Vielfalt absolut widersprochen haben würde. Es hat dann etliche Wochen gedauert, bis die Wunden der Auseinandersetzung darum wieder vernarbt waren.

Und über allem schwebt die Institution der Schwulenberatung Berlin, als  Träger des Projekts, das sie aus dem Boden gestampft hat und über das sie wacht. Im inzwischen 35. Jahre ihres erfolgreichen Wirkens von der Notwendigkeit ihrer Aufgabe bestimmt. Die darin besteht, jener Gruppe innerhalb der queeren Community Berlins unterstützend unter die Arme zu greifen, die dank körperlicher und psychischer Handicaps oder in ihrer Suchtabhängigkeit bedingten Problemen  auf ihre Unterstützung angewiesen ist. AIDS/HIV ist nach wie vor ein großes Thema, genau wie die Unterstützung Junger in ihren Comingout-Fragen. Ihr jüngstes Projekt besteht in der vom Berliner Senat unterstützten sicheren Unterbringung queerer Refugees, als einer weiteren nicht hoch genug zu lobenden Erfolgsgeschichte.

Nachdem sie bereits 2003 mit der Gründung des „Netzwerks Anders Altern “ den Grundstein für den gegenwärtigen Lebensort Vielfalt gelegt hat, einmalig in Europa. Ausgehend von der Erkenntnis, dass die Älteren unter uns in der queeren Community über keine eigene Lobby verfügen und im Umgang mit Jüngeren das Gefühl und den Eindruck ihrer Unsichtbarkeit verinnerlicht haben. Nach dem wöchentlichen „Gesprächskreis Anders Altern“ und „Mobilen Salon“ (Dem Besucherdienst für Menschen, die nicht mehr mobil sind, um es auf den kürzest denkbaren Nenner zu bringen) war das Mehrgenerationen-Wohnprojekt die logische Folge davon und das Ergebnis aller damit verbundenen Erfahrungen. Und ist seit seiner Gründung vor vier Jahren eine der tragenden vier Säulen des Hauses (neben der hauseigenen Pflege-Wohngemeinschaft, dem Café Wilde Oscar und Beratungsdienst); findet aber inzwischen immer weniger Beachtung, weil es ja „läuft“. Und weil andere, nicht weniger gewichtige Projekte hinzukamen und inzwischen zu stemmen sind.

Im Streit um Gartenzuständigkeiten war es unverzeihlich, einer Partei den Vorzug vor der anderen einzuräumen oder den Betroffenen wenigstens diesen Eindruck vermittelt zu haben. Eine aus Unachtsamkeit geborene Ungerechtigkeit sondergleichen, die tiefe Wunden geschlagen und Gräben aufgerissen hat. Was nicht aus dem Stand heraus wieder zu beheben ist. Weil insbesondere die unmittelbar davon Betroffenen sich mit Recht darüber beklagen.  Für die das Foyer des Hauses u.a. auch als Ausstellungsraum für ihre Kunst infrage kam.  Der anderen Nutzern als Lagerraum diente. Was dem Betroffenen Künstler nicht zumutbar war. Der  mit seinem Mann auf engstem Raum zusammenlebt. Eine sowohl technische als auch künstlerische Herausforderung und Leistung,  die beide optimal gelöst haben. Gleichwohl bleibt der von Virginia Woolf vor mehr als hundert Jahren bereits formulierte Anspruch bestehen, als solcher auf ein „Ein Zimmer für mich allein“, als Voraussetzung zur persönlichen und künstlerischen Entfaltung. Auszugspläne haben sich bislang zerschlagen. Und ob innerhalb des Hauses die Möglichkeit eines Wechsels besteht bleibt abzuwarten. Zur Erleichterung ihrer Nachbarn, waren alle Versuche, der Enge zu entfliehen, zum Scheitern verurteilt. Weil alle die beiden ungern missen würden.  Was für die Betroffenen  keine Lösung ist. Zumal die Schwulenberatung dazu tendiert über den Erfordernissen des großen Ganzen den Einzelnen aus dem Blick zu verlieren..

Und das im Fall einer Mieterschaft die von Anfang an auf besondere, sie herausfordernde Weise in Anspruch genommen war: durch schleppend zu behebende Baumängel am Anfang, später durch das Café Wilde Oscar, als Lärmquelle, später. Dazu kamen  technische Problem der Verwaltung. Beispielsweise  hat man von den Mietern gestiftete Bäume im  Wert von 2500 €  ein weiteres Mal über die Nebenkostenabrechnung belastet. Inzwischen sorgen Kellereinbrüche für ein Gefühl der Unsicherheit, das einige Mieter zum Anlass nahmen, ihre Wohnungseingangstüren sicherheitstechnisch aufzurüsten. Diebstähle im Haus tragen auch nicht zum Gefühls der Sicherheit bei.  Zitat der Aussage eines Mitarbeiters: „Wir können den Lebensort Vielfalt doch nicht zu einer Festung ausbauen“.

Zur Zeit herrscht Frust auf allen Ebenen, unter den Älteren dank den Beschwerden fortschreitenden Alters, seitens der Schwulenberatung, darüber, dass der offene Charakter des Hauses der Vielfalt auf der Strecke zu bleiben droht, und die Jüngeren Bewohner müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, sich in nicht ausreichendem Maß einzubringen, weil sie auch noch außer Haus unterwegs sind; im Rahmen ihres beruflichen Engagements und freundschaftlicher Bezüge.

Im Fall sensibler Einzelner besteht die Gefahr, auf der Strecke zu bleiben, für die Schwulenberatung dagegen verengt sich  manches auf ihre  Sicht der Dinge. Zwischen beiden Ebenen besteht die Notwendigkeit zum Ausgleich. Der uns bislang immer gelungen ist. Ich persönlich habe Angst davor, dass der eine oder andere, den ich schätzen gelernt habe, doch noch abspringt und wieder auszieht, weil ich keinen missen möchte. Abgesehen von dem einen oder anderen, dessen Ausstieg kaum den Eindruck eines Verlusts vermitteln würde. Aber immer sind es die aktiven und engagierten Teilnehmer an der Hausgemeinschaft, um die man bangen muss. Ein Kompromiss ist also unausweichlich. Der mit Worten allein aber nicht herzustellen ist, aber mit gutem Willen vielleicht. Vor deren Hintergrund ich diese Zeile als Angebot dazu verstanden wissen möchte, und als Versuch einer Umarmung.

Darüber hinaus bin ich davon überzeugt,  dass die überwiegende Zahl der Mitarbeiter der Schwulenberatung Berlin eine hervorragende Arbeit leistet. Und das nicht immer und in jedem Fall bei optimalen Bezügen. Sondern auf der Grundlage einer idealistischen Grundeinstellung mit selbstausbeuterischen Tendenzen.  Immer hart am Limit dessen was möglich ist. Als einer weiteren Front, von der die Geschäftsführung des Hauses in Anspruch genommen ist.Dank knapp bemessenen und dringend ausbaufähigen Etats. Um damit beispielsweise zwei Schutzgitter an zwei Kellerabgängen zu finanzieren, einer jahrelangen Forderung der Mieterschaft – zur Vollendung des Anspruchs auf Barrierefreiheit im Haus und zum Schutz unserer Rollstuhlfahrer. Was mich dagegen persönlich betrifft kann ich davon ausgehen, seit meinem Einzug vor vier Jahren nicht ein einziges Mal bereut zu haben, im Winter 2011 als erster meinen Mietvertrag unterschrieben zu haben. .

Auch wenn es sich mit manchen Erscheinungen oft schwer Leben lässt. Beispielsweise im Hinblick auf denjenigen unter unseren Nachbarn, der von Anfang an auf Krawall gebürstet war und an allem und jedem was auszusetzen hatte. Trotzdem hätte ich mir nicht träumen lassen, es in ihm, als Schwulem, mit einem Unterstützer und Mitglied der AfD zu tun zu haben. also mit einem ihrer typischen Protestwähler. Zu dessen Gunsten spricht,  jüngste homophobe Tendenzen und schwulenfeindliche Äußerungen führender Persönlichkeiten der rechtspopulistischen Partei zum Anlass genommen zu haben, unter Protest seinen Austritt aus zu erklären, was ihn mir wieder sympathisch macht.

Was einmal mehr beweist, es im Fall des Lebensort Vielfalt nicht mit einer Ausnahme-Einrichtung in Gestalt der Insel der Glückseligen zu tun zu haben, weil davon auszugehen ist, dort allem zu begegnen, was auch in der uns umgebenden Wirklichkeit anzutreffen und in ihr verankert ist, mit der wir es jeden Tag auch unterm Dach des Lebensort Vielfalt zu tun haben.

P.S. Stein des Anstoßes zwischen der Mieterschaft des Lebensort Vielfalt und der Schwulenberatung Berlin war auch der  hier zu besichtigende Plakatentwurf, den die Bewohner zum Anlass nahmen, ihre Besorgnis um das Haus und den Garten zum Ausdruck zu bringen, wozu es aber, aufgrund des damit ausgelösten Konflikts nicht gekommen ist.

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