Berliner CSD als Never Ending Story. Zur Endlos-Diskussion um den CSD e.V. und Dirk Ludigs auf SiS-online veröffentlichten Reformvorschlägen und Kritik an ihm.

In der er nachvollziehbar beschreibt, weshalb es hakt und welche Lösungsvorschläge ihm dazu einfallen, die er in seinem regelmäßig auf SiS-online veröffentlichten Bewegungsmelder, diesmal vom 9. April, zur Diskussion stellt. * In der Absicht, den Verein von seiner überwiegend von Männer bestimmten Struktur zu befreien. Was er mit Verwirklichung seines Vorschlags beabsichtigt, Vertreter*innen aller in Berlins queerer Community aktiven Gruppen mit Sitz und Stimme in das leitende Vorstands-Gremium des CSD e.V. einzubeziehen. Um damit nicht nur dem Interesse einzelner Gruppen der Community zu dienen, sondern ihrer Gesamtheit. Zur Herstellung demokratischer Strukturen.

Um damit nicht zuletzt auch einen Geburtsfehler des ersten Berliner CSD am 30. Juni 1979 zu korrigieren. Der darin besteht, dass die damals an seiner Organisation beteiligten schwulen Männer, einschließlich meiner Wenigkeit, aus unterschiedlichen Gründen (erheblicher Zeit- und Organisationsdruck, dank 10. Jahrestags der Stonewall Riots) versäumt haben, lesbische Frauen an seiner Organisation zu beteiligen, um sich stattdessen damit zu begnügen, sie zur Teilnahme dazu einzuladen. Die damals auch zahlreich vertreten waren.

Ein Ergebnis dessen besteht wohl darin, dass manche lesbischen Frauen aus Anlass des 30. CSD 2008 noch davon überzeugt waren, es in ihm mit einem reinen „Männerding“ zu tun zu haben. Was als Hindernis nachvollziehbar ist, sich nicht nur damit zu identifizieren, sondern aktiv einzubringen. Obwohl lesbisch Frauen schon 1998 mit einem eigenen Wagen am CSD beteiligt ware, dem sogenannten und seitdem legendären Mösenmobil, in Gestalt einer begehbaren Vagina.

2018 im Jahr des 40. Berliner CSD, waren ausschließlich starke Frauen an der Pressekonferenz des CSD e.V. im Schwulen Museum beteiligt, um damit ein Zeichen zu setzen. Auf die Frage, wo sie seitdem geblieben sind, kann es nur eine naheliegende Antwort geben, auf die sich auch Dirk Ludigs bezieht: mangelnde Anerkennung und Wertschätzung. Die manche(n) vielleicht motivieren, es sich sehr gut zu überlegen, im Fall eines solchen Einsatzes auch mit einem Stück Lebenszeit zu bezahlen.

Eine weitere Erfahrung, die sich wie ein roter Faden durch die mehr als vierzigjährige Geschichte des Berliner CSD zieht. In der es zwar keine größeren Ausfälle gab, aber von Zeit zu Zeit immer wieder starke und einschneidende Verwerfungen. In Gestalt nicht unerheblicher Kritik am Verein. Die sich auch in der Existenz des Kreuzberger transgenialen CSD niedergeschlagen hat. Und 2014 in streitigen Auseinandersetzungen um den damals durch Robert Kastl verkörperten CSD e.V. Als dem Jahr, in dem drei CSDs gleichzeitig durch Berlin unterwegs waren.

Ein wesentlicher Punkt in Dirk Ludigs den Berliner CSD e.V. betreffenden Reformvorschlägen bezeiht sich auf die Herstellung demokratischer Strukturen. Indem er sich auf das Oganisationsmuster der DAH im Verhältnis zu lokalen AIDS-Hilfen bezieht, wie beispielsweise die BAH. Mein ergänzender Vorschlag dazu besteht darin, das bisherige CSD-Forum durch ein solches zu ersetzen, in dem Menschen in der Lage sind, sich mit ihren großartigen Ideen einzubringen und sich durch die Bereitschaft zur praktischen, aktiven Mitarbeit zu legitimieren. Um erforderlichenfalls über eine(n) eigene(n) Sprecher*in mit Sitz und Stimme in den Gremien des Vereins zu verfügen.

Um damit zu vermeiden, dass sich in strittigen Auseinandersetzungen die durchsetzen, die über das notwendige Sitzfleisch oder eine schlagkräftige Lobby verfügen. Wie es in der Vergangenheit schon vorgekommen sein soll. Wenn beispielsweise parteiliche Interessen im Spiel waren. Unabhängig von der jeweiligen Parteifarbe. Wie im Fall von Forderungen, die sich nur mittels Bohrens Dicker Bretter in parteilichen und Bundestagsgremien verwirklichen lassen. Wie Beispielsweise das Gesetz der Ehe für alle oder die Rehabilitierung der Opfer des § 175. Oder die Erweiterung des GG Art. 3 auf queere Menschen, deren Verwirklichung seit bereits fünfzehn Jahren auf sich warten lässt. Darüber hinaus sollten den CSD zunehmend internationale Themen bestimmen. Wie der Kampf und Widerstand gegen LGBTiQ*-freie Zonen in Polen.

Mein persönlicher Wunsch besteht darin, alle die zu stärken, die unmittelbar an der Organisation eines jeweiligen CSD beteiligt sind, aber nicht in einem Gruppeninteresse handeln, sondern dem Bedürfnis folgen, den CSD am Laufen zu halten. Ohne die garnichts geht. Erst alles zusammen, Planung, Organisation und praktische Ausführung, ergeben ein vollständiges Bild vom Ganzen.

Ein wesentliches Problem der Berliner queeren Community, das sich auch im CSD wiederspiegelt, besteht darin, dass nicht alle Gruppen im ihnen entsprechenden Maß, also gemäß ihren Erwartungen, Berücksichtigung finden. Obwohl der zu teilende Himmel groß genug ist für alle. Was sich auch auf die traditionell gewachsene Rolle jener von heftiger Kritik betroffenen alten weißen CIS-Männer, also Schwule, bezieht, die sich die Frage gefallen lassen müssen, richtig damit zu liegen, wenn sie davon ausgehen, dass ohne sie garnichts geht. Dem eine spürbare Zurückhaltung anderer Gruppen der queeren Community gegenübersteht. Weil eine Gruppe es versteht, den Eindruck zu vermitteln, andere bewusst auszuschließen. Wie es jetzt anhand der Wahl des Vorstands des Berliner CSD e.V. wieder nachvollziehbar ist.

Eine andere Frage, an der sich mit schöner widerkehrender Regelmäßigkeit die Gemüter entzünden, besteht in der Erfahrung, dass sich die Wahl eines jeweilgen Mottos eines jeweiligen CSD stets auf der Ebene des kleinsten, in der Regel wenig Aussagekräftigen gemeinsamen Nenners abspielt. Statt Zeichen zu setzen und starke Impulse zu senden. Im Kampf gegen das Patriarchat, den sich u.a. die lesbische ikone Mahide Lein, stellvertretend für andere Frauen auf die Fahnen geschrieben hat. Um unter Schwulen damit auf wenig nachvollziehbare Resonanz zu stoßen. Sowie im Rahmen des gemeinsamen Widerstands gegen Homophobie, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus. Solcher gesellschaftlichen Kräfte, die sich jetzt, wie die AfD für eine neue gesellschaftliche Normalität starkmachen. Um sich als Tendenz auch in anderen parteilichen Gruppierungen bemerkbar zu machen, wie beispielsweise in der von Sarah Wagenknecht repräsentierten Linken. Um sich aber auch in anderen Auseinandersetzezungen niederzuschlagen, wie jüngst im Fall des breit in der SPD verankarten Wolfgang Thierse. Einen besonderen Akzent hat aber die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch gesetzt. Im Rahmen der Bundestagsdebatte über den Dritten Geschlechtseintrag im Personenstandsgesetz. Der es vorbehalten war, transsexuelle Menschen zu pathologisieren, also als krank zu erklären. Um das Prinzip der Zweigeschlechtlichkeit zur allein seligmachenden gesellschaftlichen Norm zu erheben.

Mich lebhaft an jene Zeit erinnernd, in der wir als Schwule davon betroffenen waren. Die es sich von einer Parteienübergreifenden Mehrheitsgesellschaft im Rahmen des alle verbindenden sogenannten gesunden Vollksempfindens gefallen lassen musste, Homosexualität als Krankheit oder Verbrechen zu definieren. Unsere gemeinsame Aufgabe besteht künftig zunehmend darin, solche ausgrenzenden Tendenzen zu verhindern und dafür zu sorgen, dass davon betroffene Menschen über einen entsprechenden Raum zur Entfaltung ihrer jeweiligen Persönlichkeit und Selbstbestimmung verfügen. Wenn andere darum Federn lassen müssen, soll es wohl so sein, um denen Platz einzuräumen, die ebenfalls einen Anspruch darauf haben, über eine eigene Stimme zu verfügen und Gehör zu finden.

Mir jedenfalls erscheint es als eine gute Idee, mich Dirk Ludigs Reformvorschlägen anzuschließen, und gestehe, mich in sie verliebt zu haben, um meinerseits zu ihrer Diskussion beizutragen. Auch brenne ich darauf, endlich in der Lage zu sein, mich denen anzuschließen, die im vergangenen Jahr trotz Corona am nicht virtuellen, wenn auch mit ca. 3000 Teilnehmer*innen bescheidenen CSD, beteiligt waren. Wie Gloria Viagra beispielsweise, Stefan Kuschner und nicht zuletzt Nasser El-Ahmad. Den ich dafür beglückwünschen möchter, bei der Vorstandwahl des CSD e.V. erfolgreich kandidiert zu haben. Mit anderen darin einig,Wolfgang Beyer beispielsweise und andere der Gay Church nahestehenden Aktivist*innen, den nächsten CSD (entweder in diesem oder nächsten Jahr) gemeinsam mit dem CSD e.V. als Sternmarsch zu organisieren, mit unterschiedlichen Ausgangspunkten, aber gemeinsamem Ziel, dem Alexanderplatz. Zur Durchbrechung der Schallmauer Brandenburger Tor, als dem bislang bevorzugten Ziel eines Berliner CSD. Um damit auch auch zum Abbau der Mauer in unseren Köpfen beizutragen.

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https://www.siegessaeule.de/magazin/wie-berlin-künftig-seinen-csd-organisieren-könnte/