Fatma Aydemir: DSCHINNS

Nurkan Erpulat, Regisseur des im Kreuzberger Ballhaus Naunynstraße vor einigen Jahren kreierten Stücks "Verrücktes Blut" - heute noch gelegentlich im von Shermin Langhoff geleiteten Gorki Theater zu besichtign - ist es zu danken, uns am 17. Februar dieses Jahres mit der Premiere des Stücks "Dschinns" konfrontiert zu haben. Der Bühnenadaption des gleichnamigen Romans von Fatma Aydemir, der bei seinem Erscheinen vor zwei Jahren einiges Aufsehen erregt hat und unter anderem mit der Aufnahme in die Shortlist des Deutschen Buchpreises im vergangenen Jahr ausgezeichnet worden war. 

Seine 1986 in Karlsruhe/Baden geborene Autorin – Enkelin türkischer Gastarbeiter in Deutschland – lebt heute – nach einem Studium der Germanistik und Amerikanistik in Frankfurt am Main – in Berlin und arbeitet als Redakteurin bei der TAZ und hat gemeinsam mit Hengameh Yaghobihara ein Buch mit dem Titel „Eure Heimat ist unser Albtraum“ herausgebracht. Neben anderen Publikationen wie ihrem 2017 erschienenen Romandebüt „Ellbogen“ beispielsweise.

In dem Roman „Dschinns“ widmet sie ihre Aufmerksamkeit der aus einem Dorf in Anatolien nach Deutschland eingewanderten Familie von Hüseyin und Emine Yilmaz und ihren hier geborenen Kindern Hakan, Perihan und Ümit, dem Jüngsten von vier Geschwistern, deren Älteste Sevda in der Türkei geboren und dort zurückgelassen worden war, um sie erst später nachzuholen. Weshalb ihr eine ordentliche schulische Ausbildung verwehrt war. Ihnen widmet die Autorin jeweils ein Kapitel des Romans. Der auch das Geheimnis aller ans Licht tretenden Familiengeheimnisse offenbart, die er zur Sprache bringt, als eine Art Chronik der laufenden Ereignisse, mit der wir als Leser konfrontiert sind. Im Rückblick auf drei Jahrzehnte Aufenthalt im fiktiven Ort Rheinstadt, von wo aus es den hier geborenen Familiennachwuchs auch anderswohin verschlagen hat. Hakan beispielsweise in das gleichfalls fiktive Salzhagen, oder nach Frankfurt am Main, als Perihans Studienort. An dem sie dem jungen Ciwan begegnet, der sich ihr als kurdischer Widerstandskämpfer offenbart, aber nicht als ihr verschollener Bruder, der sich wünscht, ein Mädchen zu sein. Dessen sich Hüsseyin und Emine eher unfreiwillig, mittels Pflegschaft durch den Bruder und die Schwägerin Hüseyins und Emines entledigten. Geboren als Sevda offenbar als einzige/r in der Lage, sich der eigenen kurdischen Abstammung und Herkunft zu versichern, die Hüsseyin dazu diente, zeitlebens ein Geheimnis daraus zu machen. Offenbar als Ergebnis mit dem Dienst in der türkischen Armee verbundener Erfahrungen.

Dank nicht binärer Identität Ciwans, mit der er sich der Pflegefamilie entfremdet hat, sucht er Kontakt mit seiner Herkunftsfamilie, stößt aber sowohl bei Emine damit auf Ablehnung, als auch Hüsseyin. Und fällt nach dem unterbrochenen Kontakt mit Perihan einem tödlichen Autounfall zum Opfer. Nicht ohne zuvor den vergeblichen Versuch unternommen zu haben, sich den leiblichen Eltern Hüsseyin und Emine bemerkbar zu machen. Die mit dem Telefongespräch mit Ciwan den Verdacht verbindet, dass Hüsseyin sich auf Abwegen befindet und möglicherweise fremdgeht. Dessen einziges Bestreben jedoch darin besteht, seinen Lebensabend – nach einem entbehrunsreichen Leben in Deutschland, als Arbeiter einer Metallwaren- und Kartonagenfabrik – in der Türkei zu verbringen. Weshalb er sich zum Erwerb einer Eigentumswohnung in Istanbul entschlossen hat. Bei ihrer Besichtigung nicht davor zu bewahren, einem abrupten Herztod zum Opfer zu fallen. Um seiner Familie in Deutschland nicht zu ersparen, sich rasch auf den Weg nach Istanbul zu begeben. Weil der Islam die kurzfristige Beisetzung eines jeweils Verblichenen innerhalb von möglichst 48 Stunden vorsieht.

Nachdem er die Rechnung ohne seine Familie machte, sehen sich deren Angehörige wider Willen veranlasst, sich möglichst innerhalb kürzester Frist auf den Weg nach Istanbul zu machren. Was im Fall Sevdas fehlschlägt, die zwar einen Flug nach Istanbul bucht, aber ihre Papiere vergisst und darum verspätet in Istanbul eintrifft. Wohin Hakan in seinem Wagen unterwegs ist. Im Verlauf einer 30stündigen Fahrt dorthin mehrfach darin beeinträchtigt. Nicht zuletzt durch fremdenfeindlich motivierte Polizeischikanen. Bei seinem und Sevdas Eintreffen in Istanbul sind beide damit konfrontiert, die Beisetzung des Vaters verpasst zu haben. Woraufhin sich Hakan mit anderen Familienangehörigen und deren jüngerem Nachwuchs auf den Weg nach Antalya begibt, zum Besuch eines Freundes, den er seit 15 Jahren nicht mehr gesehen hat. Während sich die Begegnung Sevdas mit der Mutter Emine zu heftigen Auseinandersetzung zuspitzt. Die Mutter lehnt die vom verstorbenen Vater erworbene Wohnung ab. Was die Tochter zum Anlass nimmt, ihr vorzuwerfen, als Mutter auf entscheidende Weise dazu beigetragen zu haben, als Einzige der Geschwister über keine hinreichende Schulausbildung zu verfügen und sie mit 18 Jahren mit einem Fremden verheiratet zu haben, von dem Sevda sich bereits wieder hat scheiden lassen. Weil er ihre beiden Kindern während der Nachtschicht ihrer Mutter in einer Wäscherei sich selbst überlassen hat. Weshalb es einem Nachbarn vorbehalten war, sie vor den Folgen eines ausgebrochenen Feuers zu bewahren. Als Inhaberin einer Pizzeria ist Sevda dank mangelnder Schulausbildung, für die sie die Mutter Emine verantwortlich macht, darauf angewiesen, sich auf die Unterstützung ihrer Kinder und ihres Personals zu verlassen. Während Hakan seinen Lebensunterhalt eher schlecht als recht mithilfe des Gebrauchtwagenhandels bestreitet.

Auch der jüngste Sohn, Ümit, fühlt sich nicht unebdingt auf Rosen gebettet. Vor dem Hintergrund der für ihn, im Alter von 15 Jahren, erlittenen Erfahrung, sich in Jonas verliebt zu haben, einem Ass auf dem Fußballplatz. Nie wird er den Blick des Vaters vergessen, mit dem er im Rahmen eines Fussballtrainings konfrontiert war. Als Ergebnis der für jenen mit dem Fußballtraining dea Sohnes verbundenen Ahnung, möglicherweise nicht ganz richtig zu ticken. Vor dem Hintergrund des mit Jonas Anblick verbundenen Eindrucks seines Anblicks nackt unter der Brause und Geruchs, den Ümit sich seitdem bewahrt hat, als der Knoten in seiner Brust platzte.

Auch das Verhältnis zu ihren deutschen Nachbarn und deren Vergangenheit spielt im Verlauf des Romans genauso eine Rolle, wie das türkischer Menschen gegenüber solchen kurdischer und armenischer Herkunft. Mit dem Titel Dschinns beschwört die Autorin aber nicht nur die Geister der Vergangenheit, sondern auch Gegenwart. Auch ist es kein Zufall dass ihr Roman bereits dem Nationaltheater Mannheim als Bühnenvorlage diente. Einem Zentrum migrantischen Lebens aus der Türkei in Deutschland eingewanderter Menschen, die in der Quadratestadt über ein eigenes Areal und Ghetto verfügen, in das ihre deutschen Nachbarn selten, wohl so gut wie nie einen Fuß setzen.

Der Streit zwischen Mutter und Tochter gipfelt gegen Schluss des Romans in einer Art Apotheose in Gestalt eines abrupt einsetzenden Erdbebens, dem Hüsseyns Eigentumswohnung in Istanbul zum Opfer fällt. Die Mutter unter ihren Trümmern begrabend. Die sich im Traum eine Begegnung mit dem/der Erstgeborenen ausmalt. Dank Klingeln an der Tür, bei ihrem Öffnen mit dem Anblick Ciwans konfrontiert, um ihr seine in Auflösung begriffene, nichtbinäre geschlechtliche Identität zu offenbaren.

Als vielfach gerühmter und gelesener Roman hat „Dschinns“ nicht nur viel Lob, sondern auch Kritik erfahren. Beispielsweise durch die bekannte Literaturkritikerin der ZEIT Iris Radisch. In ihrer unterm Titel „Verficktes Land“ veröffentlichten Kritik an ihm. Mit der sie Fatma Aydemirs Roman jede literarische Kritik abspricht. Als Ergebnis einer überwiegend eurozentristisch orientierten Rezensentin, die der Autorin ankreidet, jedes gerade aktuelle Thema dafür genutzt zu haben, um auf ihren Roman aufmerksam zu machen. Vor dem Hintergrund einer gesellschaftlichen Entwicklung, die auch in der Literatur kaum aufzuhalten sein dürfte.

Homoerotische Literatur im Schatten der Trümmerlandschaft des Dritten Reiches. Am Beispiel des am 2. Mai 1945 von Rotarmisten als angeblicher Spion erschossenen Autors Friedo Lampe.

Die letzten Jahre der Weimarer Republik waren keine ideale Zeit, um den 1899 geborenen Friedo Lampe, Spross einer Bremer Kaufmannsfamilie, Ende der 1920er Jahe ein freies und wirtschaftlich unabhängiges Studienleben an deutschen Universitätsstandorten wie Heidelberg, Freiburg oder München zu ermöglichen.

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WDR-Hörfunkmorgenmagazin „Mosaik“ im Zwielicht oder Die Rezension als Königsdisziplin*

*(Zitat: Insa Wilke, SWR-Lesenswert in der ZEIT)

Die Ankündigung des WDR, das im 3. Hörfunkprogramm ausgestrahlte Morgenmagazin „Mosaik“ um die Sparte Buchvorstellung und – Kritik zu bereinigen oder wenigstens zu beschneiden, hat vor allem unter Kritiker*innen Wellen geschlagen. Wie im Fall der Rezensentin und Kritikerin Insa Wilke in der ZEIT, hat aber nicht nur bei ihr für Aufregung gesorgt.

Ihr Plädoyer für die (Buch) Rezension als Königsdisziplin der Literaturkritik dient als bestes Beispiel dafür, warum diese Zug um Zug zunehmend aus den Medien verschwindet (Hörfunk, TV, Presse), auf jedenfall nicht mehr die selbe Rolle spielt, wie das vor Jahren noch der Fall war. Beispielsweise im Rahmen des von Marcel Reich-Ranicki zu seinen Lebzeiten im ZDF moderierten „Literarischen Quartett“. Dessen Nachfolger*in Thea Dorn weit davon entfernt ist, auch nur eine ansatzweise vergleichbare Wirkung zu erzielen. Während Reich-Ranickis Buchempfehlungen einen regelrechten Run auf die Buchläden nach sich zogen, womit er manchem Autor (egal ob durch seine Zustimmung oder einen Verriss) zu einem Bestsellererfolg verholfen hat. Womit ich nicht zum Ausdruck bringen will, dass Buchkritik und -Rezension die Aufgabe zu erfüllen hat, Bestsellererfolge zu ermöglichen, wie es Thea Dorns Vorgänger im „Literarischen Quartett“ des ZDF – qua Persönlichkeit – gelungen ist.

Woran ich Anstoß nehme, bezieht sich auf die Rezension als Selbstzweck, die ihre Aufmerksamkeit weit weniger ihrem Gegenstand, also Buch widmet, als der Person des jeweiligen Rezensenten. Beispielsweise im Fall Dennis Schecks (ARD-Druckfrisch), wenn er sich auffällig in den Mittelpunkt seiner Sendungen rückt. Wie es ihm vor einiger Zeit gelungen ist, indem er sich im Erklimmen der Reling eines im Hafen vor Anker liegenden Schiffes, höchst medienwirksam hat ins Wasser fallen lassen, um dies zum Gegenstand seines Buchjournals zu machen. In dessen Rahmen seine Buchempfehlungen mit schöner Rehgelmäßigkeit im Hinweis darauf gipfeln: „Bitte vertrauen Sie mir. Ich weiß wovon ich rede. Und lesen sie dieses Buch“. Eine nicht minder abschreckende Wirkung (auf mich) erzielt er auch mit seinen Kurzrezensionen von Bücher auf den jeweiligen Bestsellerlisten. Hopp oder Topp! Um damit eine eher abschreckende, als lesefördernde Wirkung zu erzielen. Ganz davon zu schweigen, dass sein literarischer Geschmack, was sein gutes Recht ist, sich stark am Mainstream auf dem Buchmarkt orientiert und nicht daran, was relevant ist. Was natürlich eine absolut subjektive Kategorie ist. Was ihm anzukreiden ist, besteht darin, den Eindruck von Objektivität und Allgemeingültigkeit zu vermitteln.

Niemand, den er mit einem Autor oder dessen Werk konfrontiert, kann jedoch sicher sein, dass dies einen anderen Zweck erfüllt, als des Rezensenten eigenem Lesegeschmack zu dienen. Womit ich mich nicht nur auf den Genannten beziehe, sondern die Gattung der Rezensenten als solche. Insa Wilkes Beitrag in der Wochenzeitung ZEIT ist ein sehr umfangreiches, kluges und beredtes Zeugnis für die eigene Bedeutung und der von Literaturkritik an sich. Und kann als Beleg dafür dienen, es in ihr mit einer Kritiker*in zu tun zu haben, die voll vom Gewicht ihres Metiers überzeugt ist und das auch zum Ausdruck zu bringen versteht.

Nicht nur anhand ihres Beispiels, sondern auch im Fall zahlreicher anderer Rezensent*innen und Kritiker*innen, ist davon auszugehen, sich alle in der Regel darin zu gefallen, Abstand davon zu nehmen, zum Ausdruck zu bringen, es in ihrer Beurteilung eines jeweiligen literarischen Werkes mit einer solchen überwiegend subjektiven Charakters zu tun zu haben. Wovon ich Elke Heidenreich ausdrücklich ausnehmen möchte. Die sich seit vielen Jahren darauf versteht, ihre Buchempfehlungen mit ihrer persönlichen Vorliebe für das jeweilige Werk zu begründen und mit ihrem subjektiven Lesegeschmack.

Worunter Literaturkritik am meisten leidet, besteht in ihrer Selbstüberschätzung und Tendenz, dem jeweiligen Leser einen objektiven, allgemeinverbindlichen Eindruck zu vermitteln, um damit nich selten, wenn nicht in der Regel, zu dessen maßlosen Entäuschung beizutragen. Vieles, was Menschen trotz allem an Büchern interessiert, denen sie ihre Aufmerksamkeit widmen, spielt sich heute im Netz ab. Und zwar auf überraschend vielfältige und diverse Weise, die unserer literarischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit mehr entspricht, als das, was sich – in Relikten – nach wie vor immer noch im Hörfunk, TV und Printmedien wiederspiegelt.

Wovon sich das im queeren Buchladen Eisenherz Berlin jahrelang praktizierende Team des „Queeren literarischen Quartetts“ unter Leitung von Matthias Frings angenehm unterschied. Weshalb ich es immer noch vermisse.

https://www.zeit.de/kultur/literatur/2021-02/literatur-kritik-berichterererstattung-wdr3-morgenmagazin-mosaik-oeffentlich-rechtlicher-rundfunk/komplettansicht

Homosexualität und Doppelmoral im Vatikan

Alles, womit wir durch die katholische Kirche, ihre Repräsentanten, sowie den schwer manövrierbaren Tanker Vatikan konfrontiert sind, dient dazu, wahre Sachverhalte zu verschleiern, um deren Aufdeckung die Studie des französischen Journalisten Frédéric Martel bemüht ist. Weiterlesen

Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber … Querverlag Berlin, 2018, 190 S. €14,90

Vielen Dank Johannes Kram für den wunderbaren Abend im Tipi am Kanzleramt, den alle Anwesenden dir verdanken. Im Rahmen der Vorstellung deines großartigen, erhellenden Buches zum Thema Homophobie. Jetzt bei Eisenherz in der Schöneberger Motzstraße 24 und überall sonst im Handel, dessen Anschaffung ich nur empfehlen kann. Weiterlesen

Tribut an Touko Valio Laaksonen (8.05.1920 – 7.11.1991) alias: Tom of Finland

„Mein Schwules Auge. Tom of Finland Foundation Special.“ Zweisprachige Ausgabe, englisch/deutsch. Hrsg. Rinaldo Hopf und Axel Schock. 2018. 400 S. , 19,90 € Konkursbuch Verlag Tübingen. Jetzt im Handel.

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