Niemals kennt man sich wohl ganz

Anlass: Buchvorstellung des von Oliver Sechting unter Mitarbeit von Karen-Susan Fessel verfassten Bands „Der Zahlendieb“. Ort: Buchladen Eisenherz Berlin. Am Abend des 13. Oktobers, an einem Freitag. Ein Beweis mehr dafür, dass der Aberglaube, dass an einem solchen Tag nichts klappt, nicht mehr greift und als überholt angesehen werden darf. Weiterlesen

ORT DER ERINNERUNG: Der Alte St. Matthäus Friedhof in Berlin-Schöneberg und die Marcuses aus dem Berliner Tiergartenviertel

Sieben Freunde haben sich im fortgeschrittenen Alter entschlossen, die Patenschaft für ein Familiengrab auf dem Alten St. Matthäus Friedhof in der Schöneberger Großgörschenstraße zu übernehmen. Jener Einrichtung in Berlin, auf der nicht nur die letzten Ruhestätten zahlreicher Prominenter, einschließlich der Gebrüder Grimm, zu besichtigen sind, sondern die auch über den Vorzug verfügt, neben einem eigenen Friedhofscafé unter schwuler Regie auch noch einen eigenen S-Bahn-Anschluss zu bieten zu haben. Weiterlesen

Bücher für mehr als eine Saison: Denton Welch (1915-1948)

Am Beispiel des britischen Autors Denton Welch wird deutlich, trotz mehrfach in der Übersetzung Carl Weissners publizierter Romane hierzulande keinen größeren Bekanntheitsgrad erreicht zu haben. Ein Unbekannter im deutschen Sprachraum. Was vielleicht im Zustand überwiegender Schwebe begründet ist, wie es für sein  literarisches Schaffen charakteristisch ist. Nachvollziehbar anhand seines Romans „Freuden der Jugend“. Dessen Titel dazu dient, davon abzulenken, als Roman gerade das Gegenteil davon zum Ausdruck zu bringen.  Weiterlesen

Eine Osterlektüre der anderen Art. Nachlese.

Regen- und Hagelschauer zu Ostern sind die ideale Voraussetzung dafür, die Feiertage nicht bei der Eiersuche im Freien oder auf der Jagd nach dem jeweils persönlichen Fetisch, aber auf meiner privaten Lederlümmelliege zu verbringen – und zwar lesend. Um meine Aufmerksamkeit einer mich in der Vergangenheit bereits verzaubernden Lektüre zu widmen. In Gestalt des neunten Bandes von Armistead Maupins Stadtgeschichten aus San Francisco: „Die Tage der Anna Madrigal“ 

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Bücher für mehr als eine Saison: „Die Kunst des Feldspiels“

Wenn Autoren vom Rang Jonathan Franzens („Freiheit“) oder John Irvings  („Gottes Werk und Teufels Beitrag“) einem Neuling der amerikanischen Literaturszene, wie Chad Harbach, anlässlich seines Romanerstlings Die Kunst des Feldspiels einen großen Wurf bescheinigen, gibt es eigentlich keinen Grund, dessen Lektüre zu verweigern. Weiterlesen

Fritz und Eddy

Nach der spektakulären Buchvorstellung des Romans Das Ende von Eddy des jungen französischen Autors Èdouard Louis am vergangenen Donnerstag in Berlin, sollte sich die Präsentation der Neuauflage von Klaus Dieter Spangenbergs Publikation Die schöne Helena. Fritz, ein schwules Soldatenschicksal am darauffolgenden Freitagabend eher bescheiden ausnehmen. Weiterlesen

In einer kalten Winternacht in Berlin

Darf Literaturkritik zum Ausdruck bringen, den Autor eines zu besprechenden Werks, als Typen nicht leiden zu können, wie es Elke Heidenreich im Literaturclub des Schweizer Fernsehens am 27, Januar dieses Jahres unterlaufen ist?

http://www.srf.ch/sendungen/literaturclub

Was sie nicht daran hinderte, sich auch auf differenzierte Weise auf ihn zu beziehen, als „blitzgescheit, provokativ, müde und abgefackt … spannend aber nicht erfreulich“. Weil „ich den Mann nicht leiden kann“. Ihr den Eindruck einer „müden, angegammelten, obdachlosen alten Frau“ vermittelnd: „miesepetrig und herummäkelnd“. Kein Atheist, aber Agnostiker, der für Ärger sorgt – nicht nur in der literarischen Welt.  Was diese gerade spannend zu machen verspricht.

Im Unterschied zu Heidenreich lassen es sich ihre männlichen Gegenspieler Julian Schütting und Thomas Strässle nicht nehmen, den Roman, als Buch der Stunde“auf seinen satirischen Gehalt abzuklopfen, den sie ihm zugute halten und nicht absprechen wollen. Weil sie sich einig sind, ansonsten über wenig literarisches Gewicht zu verfügen: sprachlich auf der Ebene glanzloser Belanglosigkeit angesiedelt. Als satirisches Pamphlet, dessen Protagonist seinem Autor als Alter Ego dient und ihm sozusagen aus dem Gesicht geschnitten ist. Dazu da, sich selbst wie in einem Spiegel in ihm zu erblicken.  

Wesentlicher Bestandteil des Romans  ist der Islam – als Religion der Unterwerfung und Hingabe: Der Mann unterwirft sich Allah, die Frau dagegen dem Mann. Als hinreichender Erklärung für den heftig umstrittenen, ratlos machenden Schleierzwang, mit dem Frauen in der islamischen Welt konfrontiert sind. Die sich herausnimmt, den damit verbundenen Druck als Freiheit der Wahl zu deklarieren. Obwohl es sich in Wahrheit bloß darum handelt, dem Feminismus westlicher Prägung Paroli zu bieten.

Ein Ergebnis der positiven wirtschaftlichen Entwicklung Frankreichs nach der 2022 zu vollziehenden Unterwerfung unter den Islam besteht u.a. darin, dass sich der islamische Präsident darauf versteht, die Frauen dafür zu gewinnen, sich aus dem Arbeitsleben zurückzuziehen und künftig am Herd zu verwirklichen. Was genügt, um Frankreichs Arbeitslosenzahlen rapide sinken zu lassen. Weil Frauen in der Arbeitswelt keine Rolle mehr spielen und nicht an der islamisierten Universität Sorbonne, an der sie ab diesem Zeitpunkt nur noch tief verschleiert, in der Bourka in Erscheinung treten.

Woraufhin der Protagonist des Romans ihren Anblick im Minirock im Straßenbild von Paris vermisst und entsprechend sexuell frustriert darauf reagiert.

Ein weiteres Ergebnis des Wahlerfolgs der Muslimbruderschaft und ihrer Regierungskoalition mit den abgeschlagenen Konservativen der Partei NIkolas Sarkozys und der Sozialisten Francois Hollandes besteht auch darin, damit dem überwältigenden Wahlsieg und Erfolg des Front National  die Stirn zu bieten.

Als Universitätsdozent mit dem Schwerpunkt des Autors Joris Karl Huysmans (19. Jahrhundert), sieht sich unser Protagonist zunächst mit der fristlosen Kündigung konfrontier, bei vollen Bezügen, die in ihrer Höhe denen des Altersruhestands entsprechen. Der Clou besteht für ihn aber in dem verlockenden Angebot der Weiterbeschäftigung bei drei mal höheren Bezügen – unter der Voraussetzung der Konversion zum Islam. Was ihm ein exorbitantes, also mehr als komfortables Auskommen verspricht. Und nicht zuletzt auch die Lösung seiner sexuellen Probleme. Dank der mit dem Wechsel zum Islam verbundenen Aussicht auf mehrere Ehefrauen. Ein Vorgeschmack darauf eröffnet sich ihm im Kontakt mit blutjungen arabischen Huris, die sich auf eine umfassende sexuelle Befriedigung des Geschundenen verstehen. Woraufhin sich dem Geschlagenen weitere vielversprechende Perspektiven eröffnen, die ihn den Verlust der jüdischen Freundin, nach deren Auswanderung nach Israel, rasch verschmerzen lassen.

Ob er wirklich den Schritt zur Unterwerfung vollzieht, lässt der Autor jedoch offen. Vielleicht weil er sich selbst in dieser Hinsicht unschlüssig ist und er sich noch andere Optionen offen lassen will. Weil sein Roman seiner Anlage nach einem gedanklichen Experiment entspricht. Das untrennbar mit den Ereignissen in Frankreich in den ersten Januartagen verbunden ist. Und mit der Tatsache, dass sein Erscheinen genau am Tag des terroristischen Anschlags auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo erfolgte, dessen Titelblatt dem Autor des Romans in Gestalt einer Karikatur von ihm gewidmet war.  

Ich muss gestehen, dass mich diese Koinzidenz neugierig gemacht und zur Lektüre des Romans „Unterwerfung“ veranlasst hat. Die mich dann über weite Strecken hin, dank vorhersehbarer, also nicht überraschender Handlung überwiegend kalt gelassen hat. Weil der Autor es versäumt hat, eine Spannung aufzubauen, die seinen Roman lesenswert gemacht und ihm darüber hinaus auch zu einem sprachlichen Glanz verholfen haben würden, den ich als Leser weitgehend vermisse.

Was alles wichtige Gründe sind, die mich veranlassen, von seiner Lektüre abzuraten. Auch wenn er gleichwohl dafür verantwortlich ist, dass ich vor einigen Tagen, unterwegs im winterlichen Tiergartenareal Berlins daran erinnert war. Und zwar nach einem Konzert der Cellistin Sol Gabetta und ihres Pianisten Bertrand Chamayou. Die auf den Beifall des Publikums im Kammermusiksaal der Philharmonie mit einigen Zugaben reagierten. Auch ich war von ihrem Programm hingerissen und der Musik Schumanns, Mendelssohn-Bartholdys und Chopins. Immer noch in mir nachklingend, während ich mit zwei Begleitern in der nächtlichen Tiergartenstraße in Berlins Mitte unterwegs war. Zu einem unweit der italienischen Botschaft geparkten PKW, als unserem fahrbaren Untersatz.

Abrupt vom Anblick der trutzburgartig anmutenden Fassade der türkischen Botschaft überragt. Und vom wirkmächtigen Anblick des an ihrer Fassade angebrachten, alles überstrahlenden Halbmond mit Stern. Wie er auch für den Eingang der Pariser Sorbonne nach der islamischen Machtübernahme charakteristisch war. Als Ergebnis der Einflussname der finanzstarken Saudis.

Durch das Symbol von Halbmond und Stern u.a. auch an das von Hammer und Sichel erinnert, als jenem für die frühere Sowjetunion charakteristischen Emblem. Das auch an der Fassade ihrer vormaligen Botschaft Unter den Linden zu besichtigen war. Inzwischen abgelöst durch die Russische Föderation – mit ihrem gegenwärtigen Repräsentanten in Gestalt Vladimir Putins. Von dem ich nicht weiß, wie er die Nacht des Mauerfalls am 9 November 1989 verbracht hat. Im Unterschied zum damaligen sowjetischen Botschafter in der Hauptstadt der DDR, der sie dem Vernehmen nach verschlafen hat.  Was auch für die Notwendigkeit  seiner Ablösung spricht. Um anderen nach ihm Platz zu machen. Die sich inzwischen, 25 Jahre später anschicken, Westeuropa und seinen Werten den Kampf anzusagen. Welches davon ausgehen darf, sich samt seiner Aufklärung, westlichen Dekadenz und Laizismus‘ von zwei Seiten in die Zange genommen zu erfahren. Was nach Auffassung des Autors Michel Houellebecq in seinem Roman erforderlich macht, an Karl Martell zu erinnern, dem es zu seiner Zeit gelungen ist, die Mauren vor den Toren von Paris in Schach zu halten und ihnen eine empfindliche Niederlage beizubringen.

Seit sich die Russische Föderation entschlossen hat, sich nicht mehr hinter dicht gemachten, unzugänglichen Mauern abzuschotten, ist sie nicht nur in der Lage, sich die Krim, sondern auch Teile der Ukraine einzuverleiben. Mit der Option, es nicht dabei bewenden zu lassen. Weshalb wir davon ausgehen dürfen, es in Putins Traum von einem Europa von Lissabon bis Wladiwostok mit einem trojanischen Pferd zu tun zu haben. Soviel zum Thema einer über das Jahr 2022 hinausreichenden Fortschreibung von Houellebecqs Roman.

Vor dem Hintergrund einer Winternacht im Tiergartenareal in Berlin und unterm Eindruck, es in der Ukraine mit einem starken Druck von russischer Seite ausgesetzten Außenposten der Europäischen Union zu tun zu haben. Was eine junge ukrainische Studentin vor fünf Jahren bereits vorweg nahm, als sie Kiew den Rücken kehrte, um sich zum Wechsel nach Berlin zu entschließen und zum Studium der Literaturwissenschaften an der FU in Dahlem. Weil es in ihrer Heimat damals bereits nicht zum Aushalten war. Vor dem Hintergrund einer wenige Tage nach ihrer Eröffnung in Flammen aufgegangenen lesbisch/schwulen Galerie, die aufgrund eines homophoben Anschlags einem Molotowcocktails zum Opfer fiel. Als Auftakt zu einer Welle der Gewalt, wie sie inzwischen die Ukraine überzieht. In weiten Teilen an den Anblicks Berlins nach dem Krieg erinnernd. Und an den des damals abgeholzten Tiergartens, der dem Ackerbau diente, zur Gewährleistung der Nahrungsversorgung der Berliner, die auf die Hilfe und Unterstützung amerikanischer Rosinenbomber angewiesen waren. Genau wie die westliche Hälfte des von den Truppen der Alliierten befreiten Deutschlands. Samt damit verbundenen Schuldenschnitts und Marshallplans.

Gipfelnd in der Forderung: Nie wieder Krieg! Siebzig Jahre später in Gefahr, in Vergessenheit zu geraten. Angesichts der drohenden Aufrüstung der Ukraine durch die USA. Als einem weiteren Szenario, das keiner sich wünschen kann und vorstellen mag. Als Ergebnis der Bedrohung der zarten Pflanze der Demokratie. Vor dem Hintergrund der Fiktion einer drohenden Machtübernahme durch den Islamischen Staat. Wie sie in Michel Houellebecqs Roman „Unterwerfung“ eine bedeutende Rolle spielt.

Treffpunkt: Queere Bibliothek Andersrum im Lebensort Vielfalt Berlin

Wie immer am letzten Freitag im Monat war es auch am vergangenen 30. Januar soweit, dass sich die Teilnehmer am Schwulen Literarischen Salon begegneten, um sich über ihre Lektüre des Romans Sibylle Bergs „Vielen Dank für das Leben“ auszutauschen und dies zum Anlass einer lebhaften, teils kontrovers geführten Diskussion zu nehmen. Weiterlesen