Die letzten Jahre der Weimarer Republik waren keine ideale Zeit, um den 1899 geborenen Friedo Lampe, Spross einer Bremer Kaufmannsfamilie, Ende der 1920er Jahe ein freies und wirtschaftlich unabhängiges Studienleben an deutschen Universitätsstandorten wie Heidelberg, Freiburg oder München zu ermöglichen.
Dank seiner Herkunft verfügte er jedoch über den Vorzug eines Bruders, der anders als er selber, bereit war in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten und dessen bremische Handelsfirma als Erbe zu übernehmen und dem Bruder Friedo monatliche Einkünfte im Umfang von 350 Mark zu sichern. Dank der er anlässlich eines Studienaufenthalts in Heidelberg in der Lage war, mit dem Literaturwissenschaftler Friedrich Gundolf in Kontakt zu treten. Angehöriger des Kreises um den Dichter Stefan George. Bekannt dafür, über keinen festen Wohnsitz zu verfügen, sondern sich überall dort niederzulassen, wo er gefragt und seine Anhängerschaft bereit war, ihm ein Auskommen zu sichern. Wie es auch in Heidelberg der Fall war, dank Friedrich Gundolfs Unterstützung. Und zwar zum Zeitpunkt von Friedo Lampes Studienaufenthalt an der dortigen Ruprecht-Karls-Universität. Weshalb nicht auszuschließen ist, dem Meister persönlich begegnet zu sein.
Trotzdem hat er nicht ihm, sondern einem heute unbekannten Autor Namens Göckingk seine Dissertation und Doktorarbeit gewidmet. Mit Ende Zwanzig imstande, sich ihrer als erster veröffentlichter Publikation zu bedienen. Ehe es soweit war, ihr später seinen 1933 im Berliner Rowohlt Verlag erschienen Roman Am Rande der Nacht zur Seite zu stellen. Zu einem Zeitpunkt, als sein Studium bereits abgeschlossern und er darauf angwiesen war, die Finanzierung seines Unterhalts nicht länger seinem Bruder zu überlassen, sondern sich selber eine weitere Einkommensquelle als Zuverdienst zu erschließen. Als Mitarbeiter der damaligen Hamburger Bücherhallen.
Dank Brotberufs als Volksbibliothekar in der Lage, der wirtschaftlichen Misere jener Jahre zu begegnen. Trotz Millionen arbeitsloser Menschen. Was dank inflationärer Tendenzen kein Zuckerschlecken war, als Folge der die Welt in Atem haltenden Wirtschaftskrise. Sowie dem Ergebnis der Niederlage des Deutschen Kaiserreichs im von ihm selbst vom Zaun gebrochenen 1. Weltkriegs, samt damit verbundenen sogenannten Diktats des Versailler Vertrags der damaligen Siegermächte und ihrer, der jungen Weimarer Republik abverlangten Reparations-Zahlungen. Von extrem rechten Kreisen damals zum Anlass genommen, sich ihrer als Dolchstoß-Legende zu bedienen. Was auch zur Beschleunigung des Niedergangs und Endes der ersten deutschen Republik beigetragen hat. Abgelöst von Hitlers Reichskanzlerschaft und seiner 1933 vollzogenen Machtübernahme.
Um auch in Friedo Lampes Fall nicht spurlos an ihm vorüberzugehen. Vor dem Hintergrund der den Nazis zu verdankenden Bücherverbrennungen und Gleichschaltung des öffentlichen und kulturellen Lebens in Nazi-Deutschland. Weshalb eine der Aufgaben eines Volksbibliothekars der Hamburger Bücherhallen darin bestand, deren Bestand von den Schriften aller im Dritten Reich verfemten und mit einem Publikationsverbot belegten Autoren zu reinigen. Wie beispielsweise im Fall von Heinrich und Thomas Mann, Stefan Zweig, Kurt Tucholsky sowie anderer davon betroffener Autoren. Unter ihnen auch Hans Henny Jahnn und dessen Schriften. Sowie dem gerade frisch erschienenen Roman Friedo Lampes. Der unmittelbar nach seinem Erscheinen bereits wieder aus dem Verkehr gezogen und aus der literarischen Öffentlichkeit des deutschen Verlags-, Buchhandels- und Bibliothekswesen verbannt war. Als Folge der in ihm nachvollziehbaren Bezugnahme auf als anrüchig empfundene homoerotische Bezüge und Tendenzen. Im Umgang zweier Ringer miteinander. Von denen der Ältere von Gefühlen für seinen jüngeren Kontrahenten in Anspruch genommen war. Zitat: Führerlos umkreisten Hein Dieckmanns Augen Alvaros Körper – die athletischen und doch jünglingshaften Glieder, die braune Haut, die prallen, leise zuckenden Muskelschwellungen glitten von den breiten Schultern, der vorgewölbten Brust, bis zum Nabel, zur Hose hinab (S. 95)
Der Klappentext des 1999 im Göttinger Wallstein Verlag als Lizenzausgabe des Rowohlt Verlags neu aufgelegten Romans, bescheinigt ihm die Atmosphäre einer schweren Sommernacht und Ströme von Bildern und Szenen, in vielerlei Gestalt … Dinge, wie der Tag sie bringt. Vor allem aber die Nacht. Und zwar mittels einer damals neuen, dem jungen Medium Film nachempfundenen Schreibweise. Auf einer Ebene mit den Dichtungen Hofmannsthals, Eduar von Keyserlings und Hermann Bangs nachvollziehbar. Also weit davon entfernt, den Vorstellungen des inzwischen etablierten Dritten Reichs zu entsprechen. Als Ergebnis eines dem Autor anzulastenden, von dem der damaligen Machthaber abweichenden Menschen- und Gesellschaftsbilds. Was nicht nur für den jungen Autor Friedo Lampe mit einem erheblichen Anpassungsdruck verbunden war. Von dem auch wesentlich bekanntere Autoren vom Rang Hans Falladas betroffen waren.
Ehe Friedo Lampe soweit war, diesem als Mitarbeiter des Rowohlt Verlags als Lektor zu dienen, hatte er kein geringes Maß an Naivität bewiesen. In einem Brief an einen früheren Kommilitonen in Heidelberg. Inzwischen führender Mitarbeiter der Goebbels Propagandaministerium unterstellten Reichsschrifttumskammer. Der Lampes Bitte, in seinem Fall eine Ausnahme zu machen, mit einer höflichen, aber bestimmten Absage begegnete. Eine wesentliche Erfahrung des Verzichts, sich solchen Autoren anzuschließen, die Deutschland damals den Rücken kehrten, bestand für Lampe wohl im Eindruck, keine andere Wahl zu haben, als sich als junger unbekannter Autor den Verhälntnissen und Anforderungen des Dritten Reichs anzupassen. Auch insoweit, als er darauf angewiesen war, zu vermeiden, dem NS-Regime mit seiner, verschärfter Verfolgung ausgesetzten homosexuellen Orientierung aufzufallen. Als sogenannter Hundertfünfundsiebziger darauf angewiesen, zu vermeiden, sich Polizei und Justiz des Dritten Reichs bemerkbar zu machen. Wie jene Zehntausende, die damals von einer Anklage und Verurteilung wegen Verstoßes gegen den § 175 betroffen waren.
Dass es ihm gelungen ist, sich zunächst im Berliner Rowohlt Verlag und später bei den Verlagen Goverts, Diederichs und Claassen als Lektor zu etablieren, war für ihn ein Glücksfall. Was nichts daran änderte, dass Verlage wie der von Ernst Rowohlt von erheblichen staatlichen Maßnahmen betroffen waren. Denen der Verleger selbst in den vierziger Jahren mit der Emigration nach Brasilien begegnete. Was für den vom Schwiegersohn Ledig Pro-Forma weitergeführten Verlag, faktisch mit einem Publikationsverbot verbunden war. Davon war auch Rowohlts Haus- und Bestsellerautor Hans Fallada betroffen. Nicht nur dank ihm abverlangten Verlagswechsels, sondern auch durch Korrekturen seiner Manuskripte. Wie im Fall des von Friedo Lampe lektorierten Romans Der eiserne Gustav. Der von der UFA als Filmstoff ausgewählt worden war. Wogegen Göbbels persönlich sein Veto einlegte, um dies zu verhindern. Weshalb der Film dem Verdikt des Propagandamisters zum Opfer fiel. Und Lampe darauf angewiesen war, seinen Lebensunterhalt künftig als Herausgeber von Landserausgaben deutscher Klassiker in hohen Auflagen zu verdienen. Denen zunehmend die inzwischen knappen Papiervorräte vorbehalten waren. Von Papiermangel waren vor allem dem Dritten Reich nicht genehme Verlage betroffen. So auch Friedo Lampes zweiter Roman Septembergewittter. Ende 1944 erschienen. Um den dem Dritten Reich zu verdankenden Kriegswirren zum Opfer zu fallen und mit ihm unterzugehen. Wie auch ein geplanter Band mit Erzählungen. Dem dank Bombenangriffs auf Leipzig und die mit seinem Druck beauftragte Druckerei kein Erfolg beschieden war. Mit auch für Lampes privates Leben nicht unerheblichen Folgen. Vor dem Hintergrund des Verzichts auf eine Emigration. Aus Furcht davor, das Schicksal wesentlich bekannterer Autoren zu teilen. Wie im Fall Heinrich Manns beispielsweise. Dem Autor des im Dritten Reich verbotenen Romans Der Untertan. Dessen Roman Professor Unrat dem mit Marlene Dietrich und Emil Jannings prominment besetzten erfolgreichsten Film der UFA, Der Blaue Engel, als Vorlage diente. Während der gesamten Dauer seines Exils in Kalifornien auf die finanzielle Unterstützung seines wesentlich erfolgreicheren und berühmteren Bruders Thomas Mann angewiesen.
Bei seinem Tod 1950 in Santa Monica hatte Heinrich Mann das Pech, dass die Einladung zum Aufenthalt in der DDR micht früher eingetroffen war. Anders als er, war Heinrichs Bruder Thomas in der Lage. Ehrungen beider deutschen Staaten entgegenzunehmen. Die ihm in hoher Zahl zuteil geworden sind. Im Unterschied zu manch anderem aus dem Exil zurückgekehrten Autor.
Nicht weniger schwierig, als seine berufliche Situation sollte sich Friedo Lampes privates Leben gestalten. Weshalb ich mich frage, wie es ihm überhaupt möglich war, mit seinem Freund und Lebensgefährten eine Wohnung unterm Dach im Charlottenburger Fürstenbrunner Weg zu teilen. Ohne den damaligen Machthabern damit unangenehm aufzufallen. Jeden Tag darauf eingestellt, das Schicksal all derer zu teilen, die aufgrund ihrer homosexuellen Orientierung von erheblichen staatlichen Maßnahmen betroffen waren. Ehe es soweit war, dass beider Wohnung einem Allierten Bombenangriff zum Opfer fiel. Wovon nicht nur die vollständig ausgebrannte Wohnung, sondern auch Lampes umfangreiche Bibliothek von mehreren tausend Bänden betroffen war. Von denen es ihm lediglich im Fall von 150 Bänden gelungen war, sie davor in Sicherheit zu bringen. In Ernst Rowohlts früherem Domizil außerhalb Berlins in Sicherheit gebracht. Als Tropfen auf dem heißen Stein. Während es einer Freundin vorbehalten war, ihn in ihrem Haus in Klein-Machnow unterzubringen. Aus gesundheitlichen Gründen vom Kriesgdienst freigestellt, war Lampe nach dem Kollaps des Verlags- und Buchhandelswesen darauf angewiesen, seinen Unterhalt als Mitarbeiter eines am Wannsee angesiedelten Spionageabwehrdiensts zu verdienen. Zu einem Zeitpunkt, als auch das öffentliche Verkehrswesen am Boden lag. Wovon auch Lampe betroffen war. Darauf angewiesen, die Strecke zwischen Wannsee und Klein-Machnow täglich zu Fuß zurückzulegen. Um am 2. Mai 1945, also wenige Tage vor der Kapitulation des Dritten Reichs, einem Stosstrupp der Roten Armee in die Hände zu fallen. Der sich angesichts der ihnen ausgehändigten Ausweispapiere außerstande sah, von ihrem Foto auf Lampes Person zu schließen. Kaum noch mit ihm identisch. Mit dem Ergebnis, dass die Rotarmisten nicht zögerten, den von ihnen im Alter von 45 Jahren Festgenommenen, als mutmaßlichen Nazispion standrechtlich zu erschießen.
Der nach Kriegsende in Reinbek bei Hamburg neu gegründete Rowohlt Verlag hat als Rechteinhaber der Werke Friedo Lampes mehrfach den Versuch unternommen, ihn als Autor im literarischen Bewusstesein der von ihrer Nazivergangenheit belasteten Bundesrepubli zu etablieren. Sowohl mit einer Wiederauflage seiner Romane. Von denen Semptembergewitter vom Autor selber von allen privaten Bezüge gereinigt worden war, um die Folgen seines Romanerstlings zu vermeiden. Als auch mit der zweimaligen Herausgabe seines Gesamtwerks 1955 und 1976. Um jedoch ohne nennenswerte Resonanz zu bleiben. Abgesehen von einigen bedeutenden Kollegen, wie Wolfgang Koeppen, der Friedo Lampes Autorschaft zwar kein umfangreiches aber wichtiges, vollendetes, nobles, … unausgeschöpftes Oevre, voll von Lesefreude bescheinigt: Ein Lehrbuch für junge Schriftsteller und ich glaube, es zählt zum Bleibenden der deutschen Literatur.
Trotz der 2020 von Johann-Günther König im Wallstein Verlag herausgegebenen Biographie Friedo Lampes, müssen wir davon ausgehen, es in ihm, genau wie im Fall Hanns Henny Jahnns, mit einem weithin unbekannten Autor von Rang zu tun zu haben. Als dem unmittelbaren Ergebnis, dass beider mann/männliche sexuelle Orientierung sich als Handicap bemerkbar machte. Anders als sie, war Thomass Mann so klug, dies zu kaschieren. Im Rahmen eines lebenslangen Versteckspiels. In der von seiner Gattin Katia Mann unterstützen Rolle eines Dichterfürsten. Der er sich zur Tarnung bediente. Um selber am Ende daran zu glauben. Und erst mit der posthumen Veröffentlichung seiner umfangreichen Tagebuchaufzeichnungen seine homoerotichen Bezüge zu offenbaren. Anderen Autoren, wie dem hier genannten, nicht vergönnt. In deren Fall wir davon ausgehen dürfen, dass sich daran auch nichts ändern wird. Als Ergebnis jahrzehntelanger Dominanz des allen gemeinsamen gesunden Volksempfindens. Mit der Folge, dass wir im Fall der Homosexualität mit der überwiegenden Auffassung konfrontiert waren, es in ihr mit einer Krankheit oder einem Verbrechen zu tun zu haben. Woran sich, trotz gesellschaftlichen Fortschritts, solange nicht wirklich was ändern wird, als wir es in der Bezeichnung schwul weiterhin mit dem ärgsten Schimpfwort auf deutschen Schulhöfen zu tun haben und queere Jugendliche immer noch von der höchsten Selbstmordrate betroffen sind und wir alle, nicht nur statistisch, über die geringste Lebenserwartung verfügen.
Friedo Lampe: Das Gesamtwerk. Rowohlt Verlag Hamburg, 1955, 319 S.
Friedo Lampe: Am Rande der Nacht. Roman. Wallstein Verlag Göttingen, 2018, 198 S.
Friedo Lampe: Briefe und Zeugnisse. Wallstein Verlag, Göttingen, 2018. Hrsg. Thomas Ehrsam.
Band 1: Briefe, 692 S. Band 2: Zeugnisse u. Texte z. Literatur und Kunst, Kommentar, 479 S.
Johann-Günther König: Friedo Lampe. Biographie. Wallstein Verlag Göttingen, 2020, 388 S.