Alles, womit wir durch die katholische Kirche, ihre Repräsentanten, sowie den schwer manövrierbaren Tanker Vatikan konfrontiert sind, dient dazu, wahre Sachverhalte zu verschleiern, um deren Aufdeckung die Studie des französischen Journalisten Frédéric Martel bemüht ist.Seine mehr als 600 Seiten starke Recherche vermittelt einen guten Eindruck, was sich wirklich hinter den Mauern des Vatikanstaats abspielt. Die Feldstudie macht deutlich, dass die Reformabsicht des gegenwärtigen Papsts Franziskus bereits zum Auftakt seines Pontifikats am Widerstand der innerkirchlichen Hierarchie gescheitert ist. Als Ergebnis einer starken Opposition gegen ihn. Anfangs Entschlossen in die Fußstapfen seines Vorgängers Johannes XXIII. zu treten, um seinerseits die katholische Kirche einer Reform an Haupt und Gliedern zu unterziehen. Nachdem es früheren Päpsten – insbesondere Johannes Paul II. – vorbehalten war, alle dem 2. Vatikanischen Konzil zu verdankenden Neuerungen Zug um Zug abzuräumen und wieder einzuebnen. Um Franziskus damit zu motivieren, dem ungelenken Flagschiff einen Schuss vor den Bug zu verpassen und prompt am zahlreichen Widerstand derjenigen zu scheitern, die um den Verlust ihrer Privilegien fürchten müssen. Nichts ist wirksamer, als die Furcht vor dem eigenen Bedeuungsverlust. Das ist es, woraus sich der Widerstand gegen kirchliche Reformen speist – sowohl im Vatikan, als auch weltweit. Weil viele, soweit davon betroffen, offenbar erhebliche Schwierigkeiten damit haben, sich auf die kirchlichen Wurzeln zu besinnen. Also unter anderem darauf, dass der nach allen Seiten hin verteidigte Zölibat nicht der kirchlichen DNA eingeschrieben ist, sondern ihr im Verlauf des 11. Jahrhundert eingeimpft, also oktroiert, als Maßnahme gegen die menschliche Natur und im absoluten Widerspruch zu ihr.
Trotzdem wird es nicht gelingen, was dagegen auszurichten. Dank total verkrusteter Strukturen und des daraus resultierenden Widerstands dagegen. Derjenigen, die davon ausgehen müssen, an Macht und Bedeutung zu verlieren. Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass auch der diesen Zustand beleuchtende Bericht offenbar kaum Wellen schlägt. Mein Eindruck besteht darin, dass sich die Kirche in Bezug auf ihn einer ihr hinlänglich vertrauten Maßnahme bedient, vorzugsweise den Mantel des Schweigens darüber zu breiten. Zur Vermeidung jeder wie auch immer geartete Auseinandersetzung darum. Als Institution, die in den vergangenen Jahrzehnten mit einem unvermeidlichen Bedeutungsverlust konfrontiert war. Vor allem im Hinblick auf ihre jahrhundetealte inquisiorische Praxis der Regentschaft mit Dekreten, um alle davor kuschen zu lassen. Beispielsweise erinnere ich mich noch gut an die Zeit, in welcher der päpstliche Index selbst Feuilletons säkularer Presseorgane bestimmte, mit dem Ergebnis dass jedes literarische Werk auf dieser Liste spontan mein Interesse erregte, um die Funktion heutiger Besten- oder Bestsellerlisten zu erfüllen. Diesen Rang hat sie über die Jahre hin mittlerweile eingebüßt. Wer erinnert sich noch an alle zahlreiche von kirchlichen Kanzeln herab verkündete Wahlempfehlungen? Die der Vergangenheit angehören. Was auch gut so ist.
Dennoch möchte ich das hier vorliegende Werk unserer Aufmerksamkeit empfehlen, weil es wie kein anderes deutlich macht, es in der Frage der Reform der Katholischen Kirche mit vergeblicher Liebesmüh und vergeudeter Lebensenergie zu tun zu haben. Seitens aller derjenigen, die mit dem Pontifikat des Papstes Franziskus erstmals wieder, seit jenem Johannes XXIII., den Eindruck eines Hoffnungsschimmers verbunden haben, Um heute darauf als eine Zeit des Scheiterns aller scheinbar übertriebenen Erwartungen zurückzublicken. Weshalb ich davon ausgehen darf, im Alter von 21 Jahren, nach meinem Coming-out, mit meinem Kirchenaustritt, die einzige naheliegende, logische Konsequenz daraus gezogen zu haben. Als Reaktion auf meinen damaligen Beichtvater, der mein Selbstbekenntnis als Homo zum Anlass nahm, alle Schrecken der ewigen Verdammnis an die Wand zu malen. Bereits im Alter von 14 Jahren darauf aufmerksam, es in meiner homosexuellen Orientierung mit einer, wenn nicht der entscheidenden Größe meines Lebens zu tun zu haben. Trotzdem hat es sieben Jahre gedauer, ehe es soweit war, Schluss zu machen mit aller damit verbundenen Zerrissenheit, die anderen dazu dient, sich in einer lebenslangen Auseinandersetzung damit zu verausgaben, statt ihre Kraft anderen, wesentlichen Aufgaben im Leben zu widmen. In Erinnerung daran, wie viele bereits darin gescheitert sind, die sich daran aufgerieben haben: Küng, Uta Ranke-Heinemann, Drewermann – um mich nur auf sie zu beziehen. Alle pausenlos, aber vergeblich darum bemüht, Licht ins Dunkel zu bringen.
Eine Intention und Absicht des Autors der hier vorliegenden Studie besteht darin, an sie anzuknüpfen. Als Ergebnis seiner vierjährigen Untersuchung, als einer geballte Ladung von in „mehr als 30…Ländern gewonnenen Erkenntnissen. In Gestalt von 1500 Interviews … mit 41 Kardinälen, 52 Bischöfen … 45 Apostolischen Nuntien … 11 Schweizergardisten und mehr als 200 katholischen Priestern und Seminaristen. (S. 661). Viele davon werden im Anhang, namentlich als Quellen genannt. Andere hingegen haben vorgezogen, ihre intimen Kenntnisse off Rekords zu Protokoll zu geben, und genießen darum das Privileg der Anonymität. Im Unterschied zu solchen, die kein Problem damit haben, öffentlich in Erscheinung zu treten, um den Autor mit Stoff zu versorgen. Darunter auch mancher Klatsch und Tratsch, der aber ungeachtet dessen über eine erhellende Wirkung verfügt und überraschende Einblicke vermittelt. Als Ergebnis von 400 Stunden (Gesprächs) Mitschnitten, 80 (gefüllten) Notizblöcken … mehreren hundert Fotos und Selfies mit Kardinälen: „Die Zitate wurden entsprechend dem … Berufsethos der Journalisten nicht gegengelesen“. Auch insoweit überflüssig, als manche persönliche Auskunft (off rekord) sich als ergiebiger erweist, als offizöse Verlautbarungen.
Zur Untermauerung der Binsensweisheit, dass sich das Personal des Vatikan, und zwar auf allen Ebenen, zu einem überdurchschnittlich hohen Anteil von bis zu 80 % aus Angehörigen der sogenannten Gemeinde Homophiler rekrutiert. Unter ihnen eine nicht geringe Anzahl, bekennender Schwuler, die nach ihrer Abkehr von der katholischen Kirche keine offiziellen Funktionen und Ämter ausüben, oder sich im von den jeweiligen Päpsten verordneten Ruhestand befinden. Viele haben sich auch infolge der für die katholische Kirche charakeristischen Doppelmoral von ihr verabschiedet. Nicht zuletzt im Hinblick auf alle zahlreichen, in die Tausende gehenden Fälle sexuellen Missbrauchs im Vatikan und weltweit. Die alle Pontifikate der vergangenen Jahrzehnte begleitet haben. Die dank zunehmenden öffentlichen Drucks nich mehr untern Teppich zu kehren sind, um den Mantel des Schweigens darüber zu breiten und sie in vatikanischen Archiven verstauben zu lassen.
Nicht zuletzt Benedikt XVI. ist dafür berüchtigt, dergleichen vielfach ignoriert und sich vorzugsweise im Kampf gegen die praktizierte Homosexualität Geistlicher verausgabt zu haben. Und zwar in einem persönlichen Kreuzzug zahlreicher, kaum überschaubarer Verlautbarungen, sowohl in seiner Eigenschaft als Kardinal und Leiter der katholischen Glaubenskongregation, als auch in der als Papst. Als sichtbarer Verkörperung der bereits erwähnten katholischen Doppelmoral. Dazu bereit, jeden Gestrauchelten im Fall der Reue der ihm zur Last zu legenden Verfehlungen in die Gemeinschaft der Gläubigen einzubeziehen. Um alle, die auf ihrem Selbstbekenntnis beharren, auszuschließen. Nach dem Motto: Homo ja! Schwul nein! Der Unterschied besteht in der Bereitschaft zum Bekenntnis zum Zölibat und im Verzicht auf die homosexuelle Praxis oder im Beharren auf ihr und Festhalten daran. Gipfelnd im Verdikt Benedikts dagegen. Oder den Johannes Paul II. als polnischem Papst, zu verdankenden Enzykliken gegen den Kondomgebrauch, auf dem Höhepunkt der AIDS-Krise. Um vor allem auf dem afrikanischen Kontinent eine verheerende Wirkung zu entfalten, als Spaltung in päpstliche Verlautbarungen und die Praxis von Priestern und Nonnen an der Front, zur Verteilung von Kondomen an Bedürftige.
Gerade der deutsche Papst bietet dem Autor des hier vorliegenden Berichts ausgiebig Gelegenheit, sich auf ihn als eine tragikumwitterte, tief gespaltene Persönlichkeit eines nicht praktizierenden Homophilen zu beziehen, dem vor allem die zölibatäre Reinheit der Geistlichen am Herzen liegt, als seinem Kreuzweg, samt persönlichen Scheiterns darin. Um allenfalls mit aufsehenerregend roten Pradaschuhen oder ausgefallenen Kopfbedeckungen aufzufallen, oder mit einem ausgesprochen männlichen Begleiter an seiner Seite, als seinem persönlichen Lebensmenschen und Sekreär Georg(io) Gänswein. Zu dem sich Benedikt in einem sehr speziellen Verhältnis befindet, als nicht praktizierte Liebesbeziehung, die wohl auf dem Idealbild des Prinzips der klassischen Freundesliebe basiert. Wie sie im Leben des zölibatären kaholischen Klerus zuweilen eine Rolle spielt. Als Gegengewicht zur ihm zu attestierenden Praxis des Verzichts Benedikts auf die Beschäftigung mit allen tausendfachen Fällen sexuellen Missbrauchs. (S. 615)
Ein weiteres Resümee besteht in der vom Autor in seiner Untersuchung untermauerten und dokumentierten Erkenntnis, dass die für die katholische Kirche charakeristische Homophobie im Wesentlichen von solchen kirchlichen Kreisen ausgeht, die damit davon ablenken wollen, selber betroffen zu sein. Darauf angewiesen, sich des Vatikan als schützenden Schilds und sicheren Hafens zu bedienen, um innerhalb der Mauern des Vatikanstaates den diplomatisch geschützten Umgang mit sich dafür anbietenden Strichern zu pflegen. Vorzugsweise solchen, die als jugendliche Migranten aus der Dritten Welt in Rom gestrandet sind. Es sei denn, dass Kardinäle beispielsweise über das Recht des Zugriffs auf unter Druck zu setzende Angehörige der Schweizergarde oder auf junge Priestereleven verfügen, mit dem Ziel sie in die eigene persönliche Entourage einzubeziehen. Was aber nur eine Seite der Medaille beschreibt, als sprichwörtliche Toleranz, die man über viele Jahre hin zusammenlebenden männlichen Priesterpaaren entgegenbringt, wenn sie Abstand davon nehmen, damit aufzufallen.
Bestand die Ursache für den überdurchschnittlich hohen Anteil homosexueller Priester der Vergangenheit vorzugsweise darin, dass junge Seminaristen und Priesteraspiranten darauf angewiesen waren, mithilfe des kirchlichen Zölibats zu kaschieren, dass Frauen für sie keine Rolle spielen, weil sie nicht über die Eigenschaft verfügen, sie körperlich anzuziehen. Basiert der zunehmend spürbare Priesternotstand der katholischen Kirche inwischen darin, dass heterosexuelle Priester immer weniger dazu bereit sind, sich mit dem Zölibat abzufinden, und schwule Seminaristen, dank inzwischen verbreiteter gesellschaflicher schwuler Sichtbarkeit und Homoehe in der Lage sind, sich für eine solche mit einem Mann und nicht mit der Kirche zu entscheiden.
Ein wesentlicher Anlass des vorzeitigen Rücktritts Benedikts nach nur achtjährigem Pontifikat, besteht nicht zuletzt in der für ihn mit seinem Aufenthalt auf Kuba, anlässlich eines von ihm absolvierten Staatsbesuchs, verbundenen Erkenntnis der Diskrepanz zwischen der engen Verbindung des kubanischem Klerus mit den kommunistischen Machthabern, den Castrobrüdern. Die über das geheime Wissen des nicht mit der Kirche konformen Lebens sexueller Auschweifungen des kubanischen Episkopats verfügten, weshalb der kubanische Klerus erpressbar war. Als einer für Benedikt einschneidenden Erfahrung, im Rahmen seines päpstlichen Pontifikats. „Bei seiner Rückkehr von Kuba“, so Frédéric Martell, „wird er (Benedik) die Entscheidung treffen, sein Amt niederzulegen“. Als Ergebnis des mit dem Aufenthalt auf Kuba verbundenen physischen und psychischen Zusammenbruchs. (S. 617) Was tiefe Spuren hinterlassen hat, im Leben eines Papsts, dessen Theologie von der Abwehr aller Reformen bestimmt war, sowohl was die lateinamerikanische Befreiungstheologie betrifft, als auch die Ablehnung des Zölibats durch den vom Vatikan geschassten deutschen Theologen Eugen Drewerman.
Doch ist es Benedikt mit dem Rücktritt vom Amt als Papst gelungen, sich einen Traum zu erfüllen und damit ein Zeichen zu setzen. Und zwar mit der Erhebung seines mit einer erstaunlichen Schönheit ausgestatteten Lebensmenschen Georg(io) Gänswein, in den Kardinalsrang. Weshalb er jenem kurz vor seinem Abschied als Papst, jene besondere, stundenlange Zeremonie widmete, um diese in Anwesenheit sämtlicher vatikanischen Würdenträger und beim Vatikan akkredierten Diplomaten zu vollziehen. Unter der Kuppel der sixtinischen Kapelle im Petersdom. Um Gänswein, bäuchlings vor ihm ausgestreckt, öffenlich in die Arme zu schließen. Vielleicht zum ersten und letzten Mal. Womit sich für ihn der ganze damit verbundene Aufwand gelohnt hat.
Zum Aufakt seiner „Feldstudie“ macht uns ihr Autor mit der Gestalt der Karikatur eines römischen Kardinals und Würdenträgers des Vatikan im Ruhestand bekannt. Der immer noch über das Privileg luxuriöser Zimmerfluchten verfügt und einen Hofstaat junger Priester, vor denen er in einer bodenlangen, mit Hermelin besetzen Kardinalsrobe mit 12 Meter langer roter Schleppe posiert. Fotos davon sind unterm Stichwort „Kardinal Burke“ im Internet zu googeln.
Im Epilog dagegen macht er den Leser auf den Fall und das Schicksal eines katholischen Geistlichen aufmerksam, dem er als Schüler begegnet ist, im Rahmen einer katholischen Kirchengemeinde in Avignon, der jener als Kaplan diente. Auf besonders erfolgreiche Weise der katholischen Jugendseelsorge verbunden, um sich bei Jugendlichen ein hohes Ansehehen zu verschaffen. Ihn hat der homosexuelle Journalist und Autor Martell mit seiner Abkehr von der katholischen Relegion im Alter von 13 Jahren aus den Augen verloren. Um sich Jahrzehne später, im Rahmen seiner umfangreichen jahrelangen Recherchen erneut mit ihm und seinem Schicksal konfrontiert zu erfahren. Als Fall eines an AIDS erkrankten katholischen Priesters, den die Kirche, nachdem bekannt war, sich mit HIV infiziert zu haben, aus seinen Ämtern entfernte, um einen einsamen AIDS-Tod zu sterben. Und damit das Schicksal manches anderen katholischer Geistlichen auf dem Höhepunkt der AIDS-Krise zu teilen.
Zwischen diesen Extremen spielt sich das Leben katholischer Priester und Würdenträger ab. Wogegen auch Papst Franziskus, ungeachtet der ihm unterstellten Reformabsicht, nichts auszurichten vermag. Als Gefangener der Institution Vatikan. Bereits unmittelbar nach Amtsantritt am Widerstand oppositioneller kirchlicher Kreise gescheitert. Zu denen auch der erwähnte Kardinal Burke gehört. Ebenso wie die mit ihm und seinesgleichen verbandelte deutsche Milliardärin und Witwe eines Schwulen, Fürstin Gloria von Thurn und Taxis. Die auf Schloss Emeran in Regensburg eine öffentliches religiös-konservatives Leben führt. Aber gerne auch viel Zeit in einer Wohngemeinschaft mit einer italienischen Adelsdame in der Ewigen Stadt verbringt, als ihrem geheimen, versteckten Leben. Und Teil der Franziskus Reformbestrebungen bekämpfenden innerkirchlichen oppositionellen Hierarchie. Zur Bewahrung der von ihnen bevorzugten kirchlichen Tradition.
Ein Resüme der hier vorliegenden Untersuchung besteht nicht zuletzt darin, dass der Reformunfängkeit des nur schwer zu lenkenden und zu manövrierenden Tankers Vatikan nur unter der Voraussetzung zweier wesentlicher Aspekte abzuhelfen ist: 1. Mit der Abschaffung des Zölibats. Und 2. Mit der Öffnung der Kirche für das weibliche Ordinariat. Mit einer Päpstin an der Spitze. Um allen zahlreichen, im Vatikan und weltweit um ihre Privilegien bangenden Kardinalstunten das Fürchten zu lehren. Zur Wiederherstellung des von Christus gestifteten Prinzips christlicher Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Was sich zu meiner Lebenszeit, wenn überhaupt, kaum je verwirklichen lassen dürfte.