Trans*- und Inter*Sexualität in der Queeren Comunity

Herzlichen Dank, lieber Jayrôme C. Robinet, dass du der Einladung in unseren  Gesprächskreis „Anders Altern“ der „Schwulenberatung Berlin“ im „Wilde Oscar“ gefolgt bist. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass ich dich stellvertretend für alle Teilnehmer begrüßen und die Veranstaltung mit dir moderieren durfte. Was für mich eine ganz besondere Erfahrung war, nachdem wir einander bereits aus Anlass der Vorstellung deines Buches im Café Ulrichs und bei einem Theaterworkshop im Schwulen Museum begegnet sind. Seidem habe ich dein großartiges Buch „Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund“ mehrmals gelesen und kann es allen nur zur Lektüre empfehlen. Als wahrhaftiges, aufrichtiges, tabufreies, gut geschriebenes, lustiges, weil selbstironisches und sehr berührendes Dokument über deine Transition, also jenen ganz besonderen Weg, den du im Alter von 32 Jahren, 2010, begonnen hast und der acht Jahre dauern sollte, inzwischen aber abgeschlossen ist. Als einer sehr wichtigen, wesentlichen Etappe in deinem Leben, das dich 1996, im Alter von 19 Jahren nach Berlin führte, zunächst als Au-Pair, dann im Rahmen eines von dir an der Universität der Künste absolvierten Studiums. Zur Zeit arbeitest du an deiner Doktorarbeit und unterrichtest an der Alice Salomon Hochschule in Berlin. Außerdem hast du dir einen Namen als Spoken Word Künstler gemacht.

Aus eigener Erfahrung, als schwule Tunte, weiß ich, dass ein gewisser Abstand zur eigenen Herkunftsfamilie und Umgebung nützlich sein kann, für die eigene Entwicklung und als Ermutigung zum Schritt ins Freie, also zu sich selbst. Worüber du ebenfalls in deinem Bericht Auskunft gibst. Im Hinblick darauf, dass es dir in Berlin leichter gefallen ist, dich zu einem solchen Schritt zu entschließen und deine Familie anschließend damit zu konfrontieren, als Trans*Mann, darauf gespannt, wie sie darauf reagiert. Als 1977 in Nordfrankreich geborene Tochter einer Mutter mit sizilianischen Wurzeln und eines französischen Vaters aus dem Land der Schti’s. Aufgewachsen in der Nachbarschaft zum belgischen Grenzland. Vor allem deine ältere, inzwischen lesbische Schwester hat positiv auf dich reagiert. Unter anderem mit dem Geschenk einer Frühstücksschale mit deinem neuen Namen Jayrôme; nachdem du dich ihr noch als Schwester als lesbisch geoutet hattest. Während es bei ihr noch eine Weile dauerte, in der du dich kontinuierlich weiterentwickelt hast.

Anders als andere fühltest du dich nicht in einem falschen Körper geboren, sondern beschreibst, dich in ihm wohlzufühlen. Und hast auf eine Geschlechtsumwandlung verzichtet, sondern die  Geschlechtsangleichung vorgezogen. Hormonell und von regelmäßige Testosteroninjektionen unterstützt. Als einer aufregenden Erfahrung, dank spürbar tieferem Klang und Tonfall deiner Stimme, sowie Haarwuchs an den jeweils richtigen Stellen, beispielsweise als Bart, sowie zunehmend spürbarer männlicher Identität. Verbunden mit einem  berührenden  Glücksgefühl.

Auch unterscheidest du zwischen sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität und beschreibstt drei  Entwicklungsstadien: 1. das der heterosexuellen Frau, 2. das der Lesbe und 3. das des bisexuellen Mannes mit einer sexuellen Präferenz für beide Geschlechter.

Anlässlich eines Interviews mit Spiegel Online bekennst du dich zur Rolle als Mannes mit Pussy. Im Gespräch darüber hast du zum Ausdruck gebracht, dass du erschrocken warst. Als sehr intimem, mit einem Tabu behafteten Bekenntnis, im Hinblick darauf, dass man  keinen nach seiner Schwanzlänge fragt. In deinem Buch erfahre ich mehr darüber, wie es im  damit aussieht. Was ich als absolut mutig und bewundernswert empfinde und für den Mut spricht, mit dem du unterwegs bist. Seit du vor einem Jahr, im Februar 2019, dein  Buch veröffentlicht hast, zur Sichtbarmachung deines neuen Lebens als Trans* Mann. Was in der Öffentlichkeit hohe Wellen geschlagen und dir eine erstaunliche Medienwirksamkeit beschert hat in Printmedien und Auftritte Fernsehtalkshows, wie beispielsweise dem Kölner Treff. Auf deiner Website konnte ich nachlesen, dass du immer noch mit zahlreichen Lesungen an den unterschiedlichsten Orten unterwegs bist. Doch der Auftritt vor schwulen Männern älteren Kalibers, wie ich, war neu für dich. Alle sind dir mit Respekt, Aufmerksamkeit und Bewunderung für deinen Einsatz begegnet. Als Botschafter deiner Sache. Eine positive Resonanz darauf war aber doch vielleicht noch wichtiger, nämlich das Bekenntnis eines anwesenden Transmannes, der auf bewegende Weise zum Ausdruck brachte, dass sein Weg kein leichter war, und er dein Beispiel als Ermutigung und Unterstützung empfunden hat, weil er dich natürlich schon sehr viel früher wahrgenommen hat, also nicht erst im Rahmen deines Buches, das er natürlich auch gelesen hat.

Wir beide teilen auch ein vergleichbares jahrelanges Engagement – im  Einsatz für den Berliner CSD – wenngleich auf verschiedenen Seiten: ich im Rahmen des klassischen, traditionsreichen CSD und du in dem des Transgenialen Kreuzberger CSD. Was ich auch als verbindendes Element empfinde, auch wenn wir unterschiedlichen Generationen angehören, aber in der Lage sind, positiv darauf  zu reagieren. Auch im Hinblick auf die damit verbundene Erkenntnis, es in dem von dir eingeschlagenen Weg nicht, wie mancher vielleicht meint, mit einer Laune oder Modeerscheinung zu tun zu haben, sondern einer inneren Notwendigkeit. Niemand wechselt sein Geschlecht aus Lust oder Laune, also aufgrund eines Jux. Dank meiner  Wahrnehmung als ehrenamtlicher Leiter der Bibliothek des Lebensort Vielfalt, die den Besuchern der Schwulenberatung Berlin als Warteraum dient, mache ich die Erfahrung, dass die Zahl der Menschen, die sich um eine Trans*Beratung bemühen kontinuierlich zunimmt und die zu Beratenden immer jünger werden, um sich bereits in der Pubertät oder früher darum zu kümmern. Als heranwachsende Minderjährige in Begleitung ihrer Eltern.

Der Verdienst der Schwulenberatung besteht darin, sich früh dafür entschieden zu haben, ihr Beratungsangebot auf diesen Bereich der Queeren Community auszudehnen und über kompetente Mitarbeiter*Innen auf der Ebene „Trans* Inter* Queer“ zu verfügen.

In deinem Bericht, lieber Jayrôme, gibst du Auskunf darüber, dass du früher als erotische und exotische Frau wahrgenommen wurdest, während die Menschen heute teilweise den Mann mit ausländischen Wurzeln und Migrationshintergrund oder auch PoC verkörpert erfahren. Was manchen – nicht nur hierzulande – Angst macht. Wenn sie, wie die Anhänger von PEGIDA oder der AFD allem Fremden mit Ablehnung begegnen und mit Aversionen. Wie sie auch für die Repräsentanten dieser Partei charakeristisch ist. Beispielsweise für Beatrix von Storch, geborene Herzogin von Oldenburg und Enkelin von Hitlers Finanzminister, der dem Führer des Dritten Reichs während seiner gesamten Dauer von zwölf Jahren als solcher diente. Während sich seine Enkelin heute mit der Pathologisierung trans* und intersexueller Menschen einen Namen macht, wie im Fall des Gesetzes zum Dritten Geschlechtseintrag im Bundestag.

Als schwule Männer haben wir auch einige Erfahrungen auf diesem Gebiet. Vor dem Hintergrund der bruchlosen Übernahme des § 175 ins Strafricht der Bundesrepublik nach Ende des zweiten Weltkrieges. Weshalb für uns das Dritte Reich nach seiner Kapitulation am 8. Mai 1945 noch nicht zu Ende war. Mit den bekannten Folgen. Dass es bis 1994 dauerte, um diesen Paragrafen abzuschaffen und die Homosexualiät aus der Liste der Krankheiten der WHO zu streichen. Trans*People mussten noch einige Jahre länger darauf warten. Und  sehen sich  mit der Erfahrung eines nicht ihren Interessen dienenden Transsexuellengesetzes konfroniert, das darauf wartet, endlich abgeschafft zu werden.

Nach dem Gesetz für alle war gelegenlich eine Besorgnis darum zu vernehmen, wie weit die von schwulen Männern dominierte Queere Community überhaupt noch ein Interesse daran hat, sich für gemeinsame, also auch transsexuelle Belange starkzumachen. Weil mancher schwule Mann vielleicht meint in der Mitte der Gesellschaft angekommen, also am Ziel zu sein. Ich bin so vermessen, diese Auffassung nicht zu teilen, und gehe davon aus, dass dies Konsens ist. Weil ich mir nicht vorstellen mag, so geschichtsvergessen zu sein, uns nicht an unsere eigenen Wurzeln zu erinnern, also daran, woher wir kommen und welcher Weg hinter uns liegt. Und nachzuvollziehen, dass Deuschland 50 Jahre nach den Stonewall Riots nicht mehr das Land ist, in dem ich geboren und aufgewachsen bin. Weshalb wir als Queere Community stolz darauf sein dürfen, mit dazu beigetragen zu haben,

Im Bewusstsein, dass Rassismus, Antisemitismus, Fremdenhass, Trans*und Homophobie nicht der Vergangenheit angehören. Und Ankerzentren in Bayern, zur Begünstigung der Abschiebung von Migranten, verdammt an bayerische Pläne in den 1980er Jahren erinnern, HIV-Positive Menschen in Quarantänelagern unterzubringen. Wie es dem Willen des CSU-Politikers Gauweiler und seiner Partei entsprach. Es bedurfte damals enormen Widerstands dagegen auch in der Schwesternpartei CDU, beispielsweise durch Rita Süßmuth, Gesundheitsministerin im Kabinett Helmut Kohls, um das zu verhindern.

Im Rahmen meiner Teilnahme an zwei Projekten in den vergangenen zwei Jahren, ist mir bewusst geworden, dass wir noch einen steinigen Weg vor uns haben. Beispielsweise anhand des großartigen Films Loud Pride – Quiet Riot der Trans*Aktivistinnen Naomi Noah Donath und Henry Böttcher, der das gesamte Spektrum der Queeren Community abdeckt, Im Sinne der Anregung zur Gemeinsamkeit und Kritik daran, immer noch weit davon entfernt zu sein, in allem übereinzustimmen. Nicht nur was die Belange anderer als schwuler Gruppen in der Community betrifft. Sondern beispielsweise auch den Eindruck der zu geringen lesbischer Sichtbarkeit, gemessen an der schwul-männlichen Dominanz. Was lesbische Frauen wie Mahide Lein, als Verkörperung lesbischer Sichtbarkeit, darin bestimmt, sich zur Forderung der Abschaffung des Patriarchats zu bekennen. Im Rahmen des Theaterprojekts [AUF]BEGEHREN aus Anlass des 40. Berliner CSD, durfte ich in Zusammenarbeit mit lesbischen und bisexuellen Frauen die Erfahrung machen, dass sie ihre geringere Sichtbarkeit mit der Erfahrung verbinden, dass sie als Mütter Probleme damit hatten sich zu outen, aus Furch davor, das Sorgerecht für ihre Kinder zu verlieren.

Die Zunahme von Hass- und Gewaltdelikten, die  sich nicht nur, aber auch und zwar vermehrt gegen trans* und intersexuelle Menschen richten, ist besorgniserregend, weil der Eindruck besteht, dass kein Tag vergeht, ohne uns damit konfrontiert zu erfahren. Was sich nicht ausschließlich in Polen, Russland oder Afrika, sondern vor unserer eigenen Haustür abspielt. Mitten im Schöneberger Kiez und seiner Nachbarschaft und Umgebung. Verbunden mit der Ankündigung Björn Höckes im Rahmen eines Auftritts vor PEGIDA in Dresden und innerhalb der Partei der AFD, Deutschland nach seiner Machtübernahme vom Kopf auf die Füße stellen zu wollen, um genau das Gegenteil davon zu meinen, also die Abschaffung unserer demokratischen, freiheitlichen und liberalen Grundordnung. Mit den für uns alle – als Queers, jüdische Menschen, solche mit Handicaps oder als Migranten damit verbundenen Folgen. Einschließlch von Sinti und Roma. Worüber der Roma, Queeraktivist und Comedian Gianni Jovanovic vor einigen Wochen im Kölner Treff auf sehr berührende Weise Auskunft gab. Um sich in einem Atemzug zum für ihn mit dem ersten Kuss mit einem Mann mit 18 Jahren verbundenen überwältigenden Gefühl zu bekennen und zur Erfahrung des Dreijährigen, der den sein Elternhaus stürmenden weißen Mob noch in Erinnerung hat. Von seiner Familie im Alter von 14 Jahre verheiraet und mit 16 bereits Vater. Um sich heute, mit vierzig, glücklich über seine Enkel zu empfinden. Als Comedian mit dem Programm über das eigene ereignis- und entbehrungsreiche Leben der gesellschaflichen Ausgrenzung aber auch  glücklich stimmenden Erfahrungen unterwegs. Samt aller damit verbundenen Höhen und Tiefen. Mit denen auch wir, wenn auch auf unterschiedliche, aber nicht ausschließende, sondern verbindende Weise unterwegs sind. Um uns nicht damit abzufinden, dass Menschen auf der Flucht vor unzumutbaren Lebensbedingungen im Mittelmeer und Rio Grande ertrinken.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s