Ein Nachtrag und offener Brief an einen Freund aus dem ehemaligen Ost-Berlin, aus Anlass der Veranstaltung am 26. September 2019 im Märkischen Museum Berlin.
Lieber Peter Rausch, ich freue mich sehr darüber, dass du die obige Veranstaltung zum Anlass nimmst, sie kritisch zu begleiten, um ihre Teilnehmer*innen, Organisator*innen, aber auch mich auf die damit verbundene Geschichtsvergessenheit aufmerksam zu machen.
Um allen, die nicht dabei waren, einen Eindruck davon zu vermitteln, hier der Link zur Veranstaltung auf Youtube: Tunten trümmern durchs Märkische Museum
In der Veranstaltung handelt es sich um eine Zusammenarbeit zwischen Mitarbeiter*innen des Märkischen Museums Berlin und dem Queeren Kulturhaus Berlin, einem Projekt von Queer Nations und der wunderbaren Patsy L’Amour la Love, als der Moderatorin des Abends, deren Verdienste als Hohepriesterin der jüngsten Tuntenkultur in Berlin unbestreitbar sind, wofür ich sie bewundere.
Mit dabei waren u. a. auch die legendären Tunten Tima, die Göttliche und Melitta Poppe, um mich nur auf sie zu beziehen. Mit denen gemeinsam weitere großartige Menschen an der Veranstaltung beteiligt waren. Neben ihnen auch ich, mit einem kurzen Wortbeitrag zur Einführung, als Rückblick auf die aufregende Zeit des Tuntenstreits der 1970er Jahre in der West-Berliner HAW (Homosexuelle Aktion Westberlin).
Deine Vorbehalte, lieber Peter, beziehen sich nicht auf die Veranstaltung als solche, sondern vor allem und in erster Linie dagegen, die Zeit vor dem Mauerfall ausgespart zu haben. 40 Jahre DDR haben schließlich Spuren hinterlassen. Beispielsweise im Hinblick auf die großartige Charlotte von Mahlsdorf (Gründerin des Gründerzeitmuseums in Ost-Berlin). U. a. auch jahrelange Mitarbeiter*in des Märkischen Museums, von dem sie im Unfrieden schied. Weil ihre Mitarbeit als Tunte ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr gefragt war. Weshalb das Märkische Museum darauf verzichtet hat.
Außerdem erwähnst du in deiner Mail an mich, dass gleich nebenan im sogenannten Bärenzwinger die erste Emanzipationsgruppe im damaligen Ostblock HIB (Homosexuelle Interessengruppe Berlin) zusammengeschmiedet wurde. Aus persönlichen Kontakten und Begegnungen mit dir, aber auch darüber hinaus, weiß ich, dass du aktiv an ihrer Gründung beteiligt warst. Bis zu ihrem Verbot 1979 durch die DDR-Staatsmacht. Genau wie an der späteren Gründung des Sonntags-Club im Prenzlauer Berg.
Das Verbot der HIB erstreckte sich deiner Auffassung nach auf die gesamte Tuntenkultur der Hauptstadt, samt Tuntendisco, Tuntenshow, aber ohne Tuntenstreit, wie er im Westen tobte, wovon im Rahmen der Veranstaltung im Märkischen Museum die Rede war, nicht aber davon, was sich auf der östlichen Seite der Mauer abgespielt hat.
Darüber hinaus machst du darauf aufmerksam, dass schräg gegenüber dem Museum die Klappe der SED-Bezirksparteischule war, wo sich Tuntengenossen und Teilzeitschwule gegenseitig die Aktentaschen in die Seiten drückten. Zum Feierabend. Wo es dort, wie du erwähnst, oft zum Bersten voll war.
Auch dafür meinen Dank, dass du mit Recht darauf aufmerksam machst, dass ohne den Einigungsvertrag beider deutscher Teilstaaten, (dank der Initiative der damaligen DDR) der Pargraf 175 im Westen sicherlich nicht so rasch ersatzlos gestrichen worden wäre, wie es 1994 der Fall war. Als dem Jahr der Streichung der Homosexualität aus der Liste der Krankheiten der WHO der UNO.
Im Rückblick auf die sicherlich großartige Veranstaltung gehe ich ungeachtet dessen davon aus, dass es hilfreich gewesen wäre, deinen Blickwinkel mit einzubeziehen und ihn nicht untern Tisch fallen zu lassen. Zur Feier der Tuntenkultur diesseits und jenseits der Mauer zum 30. Jahrestag des Mauerfalls, als Gegengewicht zur scheinbaren Geschichtsvergesenheit der Veranstalter.
Dafür, dass du darauf aufmerksam machst, herzlichen Dank. Weil es immer richtig und empfehlenswert ist, uns an unsere gemeinsamen, uns verbindenden, nicht trennenden Wurzeln zu erinnern.
Mit sehr herzlichen Grüßen und voller Hochachtung für dich und deine Freunde im damaligen Ost-Berlin, deine Daisy, Tunte der ersten Stunde und aufregenden Zeit des Aufbruchs der 1970er Jahre in West-Berlin: Bernd Gaiser