Jede(r), der auch nur ansatzweisse in die Schwulenbewegung der 1970er Jahre einbezogen war oder damit in Berührung kam, wird mit gemischten Gefühlen darauf zurückblicken, wie ich, dank aller damit verbundenen Höhen und Tiefen.
Und im mich dominierenden Gefühl der damit verbundenen Aufbruchstimmung – als Ergebnis meiner Metamorphose vom Landei zum schwulen Aktivisten in Berlin. Mit einigen herausragenden, mich prägenden Schwerpunkten konfrontiert – im Hinblick auf zahlreiche Freunde und Weggefährten, denen ich in der vorliegenden Promotionsschrift Patrick Henzes wiederbegegne, deren kometengleiche Bahn meine eigene kreuzte, um mit Aplomb in Erscheinung zu treten und im Rahmen der damaligen HAW eine Rolle zu spielen und sich zuweilen auch rasch wieder zu verflüchtigen.
Dann beispielsweise, wenn einer sich rettunglos verliebte, um mit dem spontanen Rückzug aus der HAW darauf zu reagieren, weil sie kein günstiger Ort dafür war, sich dergleichen zu bewahren – als Schlangengrube für die einen und persönliche Universität – für mich, um alles begierig aufzunehmen, womit ich mich konfrontiert sah. Vor dem Hintergrund damit verbundener Erfahrungen und Gefühle – in einer Mischung aus: Neid, Bewunderung, Bedauern und Missbilligung derjenigen, die mir als Vorbild dienten, oder Anlass zur Abgrenzung von ihnen, im Fall, sich als nicht immer auf Anhieb wieder abzuschüttelnde Kletten entpuppt zu haben, wie jener sensible, sympathische jüdische Teilnehmer an vielen offenen Abenden in der Dennewitzstraße, mit dem mich eine ambivalente Freundschaft verband, beispielsweis bei gemeinsam eingenommenenen koscheren Mahlzeiten im jüdischen Gemeindehaus in der Fasanenstraße. Dem innerhalb der HAW der Ruf der „Grundlos Geilen“ vorauseilte, weshalb man ihm mit vorsichtiger Zurückhaltung und Skepsis begegnete, weil er keine Gelegenheit ungenutzt verstreichen ließ, sich einem zur Liebe und Sex (ohne finanziellen Absichten) anzubieten. Um damit auf irritiertes Befremden zu stoßen. Seitens derjenigen, denen man anschließend, wie mir beispielsweise, in nächtlichen Darkrooms der Schwulenszene oder tagsüber auf Klappen, im Tiergarten oder am Bullenwinkel begegnen konnte, oder sommers auf dem Deck B des Wannseebades – als der sich zum raschen und anonymen sexuellen Konsum anbietenden Treffpunkten im Westberlin der 1970er Jahre.
Unauslöschlich in meiner Erinnerung aufbewahrt und nach mehr als vierzig Jahren noch abrufbar. Beispielsweise im Rahmen des 40. Jubiläums der Gründung der HAW 2011 in den Räumen des SchwuZ am Mehringdamm, als Ort des Wiedersehens mit vielen, denen ich seit Jahren nicht mehr begegnet war und mit denen mich gemeinsame, mir spontan gegenwärtige Erinnerungen verbinden – über manchen Abgrund hinweg, als nach wie vor immer noch lebendigem Bestandteil und Relikt eines Lebens und Ergebnis für die 1970er Jahre charakteristischen Erfahrungen, die Spuren hinterlassen haben. Trotz vielfach vollzogenen Abschieds davon. Ganz zu schweigen von all jenen, die wir aufgrund ihrer HIV-Infektion und Aids-Erkrankung vermissen.
Nach dem früher bereits vollzogenen Abschied von und Niedergang einer Institution wie der HAW. Deren Wirksamkeit auf den engen Zeitraum zwischen Herbst 1971 und Sommer 1974 begrenzt war, als einer in meinem Fall prägenden und intensiven Phase in meinem Leben, In jenem zeitlichen Abschnitt zwischen der Teilnahme an der Aufführung von Rosa von Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers…“ im Juni 1971 bei der Berlinale im Kino Arsenal in der Schöneberger Welserstraße und der Niederlage der Gruppe der Feministen beim sogenannten Luftballonplenum drei Jahre später. Als Anfang vom Ende der HAW, die pro Forma 1977, also mit der Gründung des SchwuZ beendet war, in Wahrheit aber mit dem Abschied derjenigen besiegelt, die 1974 an der Gründung der AHA beteiligt waren, um solchen wie mir zu ermöglichen, mit dem Gefühl und Eindruck eines Akts der Befreiung darauf zu reagieren, und des Abschied von der wahnhaften, ideologisch bestimmten Idee von der Unterdrückung und gesellschaftlichen Ausgrenzung der Homosexualität als einem Nebenwiderspruch im Klassenkampf.
Angefangen hat alles mit der Bereitschaft, mich im Juni 1971 im Arsenal in die im Foyer ausliegende Liste derjenigen einzutragen, von denen im Herbst desselben Jahres die Initiave zur Gründung der HAW ausgehen sollte. Gipfelnd in der Anmietung einer Fabriketage in einem Hinterhof der Schöneberger Dennewitzstraße, sichtbar versifft anmutenden Charakters, angesichts dessen es mehrerer vergeblicher Anläufe bedurfte, um dem Raum einen ansatzweise malerischen Anstrich zu verpassen. Worin ich einbezogen war, im Unterschied zu den Teilnehmern studentischen Charakters, die sich in endlos anmutenden Diskussionen über die Grundsatzerklärung und Satzung der HAW verständigten – im zeitlichen Umfang von einem dreiviertel Jahr, als Voraussetzung zur Mitgliedschaft – unter Anerkennung von Satzung und Grundsatzerklärung und der Unterstützung zweier persönlicher Bürgen, ehe es im Plenum soweit war, dessen Teilnehmer dafür zu gewinnen, dem zuzustimmen, als einer nicht immer auf Anhieb hinter sich zu bringenden Hürde. Im Rahmen einer Organisation, die zwischen dem Bedürfnis nach der von vielen geteilten Selbsterfahrung schwankte und dem Anspruch einer tonangebenden Minderheit die HAW als Kaderorganisation zu gestalten, um in der Lage zu sein, sich auf der Grundlage der erarbeiteten Doppelmitgliedschaft anderen, Parteien und Gewerkschaften beispielsweise – als Bündnisfähige Partner anzubieten.
Nicht identisch mit denen, die im Rahmen sogenannter Selbsterfahrungsgruppen um einen weniger ideologisch als humanen Umgang miteinander bemüht waren, um sehr rasch an eigenen Unzulänglichkeiten zu scheitern, dank spürbarem Defizit im Umgang miteinander und solchen, deren labiler, nicht gefestigter Charakter mit daran beteiligt war, andere Gruppenteilnehmer mit der Ankündigung von Suizidabsichten den Boden unter den Füßen zu entziehen, als Anfang vom Ende der Existenz als Gruppe. Auch im Fall meiner Teilnahme an einer 1.-Mai-Feier 1972 nachvollziehbar, zu der ein prominentes Mitglied der HAW, Ulrich S. (später Vizepräsident der TU Berlin) in seine Wohnung eingeladen hatte. Mit dem Ergebnis, dass wir rasch mit den Grenzen unserer Möglichkeiten konfrontiert waren. Als Folge der Übereinkunft der Anwesenden, den Namen desjenigen auf einem Zettel zu notieren, der sich einem dafür anbot, nicht nur mit dem Gedanken zu spielen, sondern ernst damit zu machen, die Nacht mit ihm zu verbringen. Im Rückblick darauf auch als Scheitern dieser Absicht nachvollziehbar und Ergebnis des Protests desjenigen, den keiner auf dem Zettel hatte, um in dessen Ankündigung zu gipfeln, aus dem Fenster springen zu wollen. Um prompt den Abend damit zu sprengen. Weil die Stimmung im Arsch und die Veranstaltung abrupt beendet war.
Jenem offenen Abend in der HAW vergleichbar, dessen Gestaltung einer Gruppe der sogenannten Lustfraktion oblag, deren Aufgabe darin bestand, am Eingang dafür zu sorgen, dass jeder sich seiner Schuhe entledigte, um sie auf einem Berg solcher zu deponieren und sich anschließend ein anderes (fremdes) Paar auszusuchen, zum Zweck der Aufnahme des Kontakts mit seinem Besitzer. Einer ebenso vielversprechenden wie irrwitzigen Idee, die am lautstark vorgetragenen Vorbehalt dessen scheitern sollte, der einem anderen Teilnehmer sein unverschämt gut aussehendes Erscheinungsbild zum Vorwurf machte, das ihn dazu befähigte, sich unter den Anwesenden jede Sahneschnitte untern Nagel zu reißen. Dem eine annähernd vergleichbare Sprengkraft innewohnte, wie sie am Abend nach der Pfingstaktion 1973 in den Räumen der Dennewitzstraße spürbar war, als Ergebnis ausgrenzender Tendenzen seitens derjenigen, die das Erscheinungsbild von Tunten zum Anlass nahmen, sich zum Vorwurf der Verfälschung des Bildes des schwulen Mannes hinreißen zu lassen. Um Tunten zum entscheidenden Hindernis im Rahmen der angestrebten Bündnisfähigkeit zu erklären, im Rahmen des Traums, als Schwule eine bedeutende Rolle zu spielen. Was genügt hatte, um im Scheitern dieser Absicht – die Tunte zum Sündenbock zu machen. Dem diese aussdrücklich widersprach, mit dem Ergebnis der sich ab diesem Zeitpunkt in der HAW formierenden Tuntenfraktion – als Ergebnis der noch am gleichen Abend spontan verabredeten Gründung der Gruppe der Feministen, als dem Auftakt zum Tuntenstreit in der HAW und Ergebnis ihnen zu verdankender Impulse.
Mir im Rahmen meiner Teilnahme daran abverlangend, mich nicht damit zu begnügen, mich an meinem Arbeitsplatz, der damals größten Buchhandlung Westberlins am Ernst-Reuter-Platz gegenüber der TU, als schwul zu offenbaren, sondern auch als Tunte. Was nur mit Unterstützung Pompadours verwirklichbar war, mit der ich damals in einer gemeinsamen WG in der Moabiter Birkenstraße verbunden war. Die sich an den freien Montagen der Coiffeure gefallen hat, mich zu meiner Mittagspause abzuholen, um sie im Café am Steinplatz gegenüber der TU-Mensa (als schwulem Treffpunkt) zu verbringen. Gekrönt von ihrer genialen Idee, mich mithilfe ihrer schminktechnischen Unterstützung und im Fummel an meinem Arbeitsplatz blicken zu lassen. Um damit nich nur bei meinen Kolleg*innen, sondern auch meinem Chef erhebliches Aufsehen zu erregen. Ohne gravierende Folgen für mich, dank liberalen Umfelds und Arbeitsplatzes. Im Unterschied zum Fall schwuler Lehrer beispielsweise.
Eine andere wesentliche Erfahrung jener Zeit bestand für mich im Abschied vom Hinweis Dritter auf mich: „He Mann, dir sieht man es ja überhaupt nicht an!“ Bis zu diesem Zeitpunk als Kompliment nachvollziehbar. Dessen Wirkung sich schlagartig verflüchtigen sollte, um sich im Abschied davon mit der Kraft und Wucht eines vergiften Apfels zu entfalten, um mir als schwer verdaulicher Bissen im Hals stecken zu bleiben. Im Bewusstsein meines eigenen, manifesten schwulen Selbsthass. Wovon vor allem und im Besonderen Tunten, aber selbstverständlich nicht sie allein betroffen waren, sondern auch jene, die sich um eine spürbare Abgrenzung von ihnen bemühten. Als schwächstem Glied innerhalb der schwulen Hierarchie. Mit den – im Rahmen des Tuntenstreits in der HAW – bekannten Folgen. In Gestalt der krachenden Niederlage des Vorschlags der Feministen zur Einführung des Rosa Winkel schwuler KZ-Häftlinge als gemeinsamem Erkennungszeichen. Um auch denen zu ermöglichen, ihr Schwulsein öffentlich zu machen, die anders als die Tunten qua ihres Erscheinungsbilds nicht auf Anhieb als solche in Erscheinung treten.
Zur Vorbereitung dieses Vorschlags hatte sich die Gruppe der Feminsten zu einer Wochenend-Klausur in der Gegend Lüchow-Danneberg im Zonenrandgebiet verabredet. Verbunden mit der Erfahrung eines in der Nachbarschaft stattfindenden Luftwaffenballs eines Fliegergeschwaders der Luftwaffe der Bundeswehr. Unsere Teilnahme daran als Tunten im nicht gesellschaftsfähigen Fummel scheiterte bereits an der Einlasskontrolle. Trotzdem sollte uns die Vorstellung so sehr beflügeln, dass wir beschlossen, Pompadour zur offiziellen Ballkönigin zu proklamieren, um auch nach unserer Rückkehr nach Berlin nicht damit hinterm Berg zu halten. Weil sie im Unerschied zu mir, qua sichtbar androgynen Erscheinungsbilds, dafür prädestiniert war. In ihrem Fall brauchte es keiner besonderen Anstrengungen, um das glaubhaft zu machen. Weshalb es kein Zufall war, dass ihr Foto am Abend der Pfingstaktion der HAW 1973 und ihrer Demo auf dem Kudamm, mit ca. achthundert lesbischen und schwulen Teilnehmer*innen – im Rahmen der Berichterstattung der ARD-Tagesschau – als Schlussbild über bundesdeutsche Bildschirme flimmerte. Auch über den ihrer Muttter im Saarland. Deren telefonischer Anruf am Tag danach in einer einzigen Frage bestand: „Kind! Verate mir nur eins: was habe ich als Mutter falsch gemacht?“
Eine Frage, die sich beim späteren besuchweisen Grenzübertritt nach Ostberlin, am Bahnhof Friedrichstraße erübrigen sollte. Weil Pompadours Anblick den DDR-Grenzschutzbeamten dazu diente, sie in ein Nebengelass zu bieten, um sich bis auf den Slip auszusziehen, zur Bestätigung, es in ihr, trotz gegenteiligen Eindrucks, mit einem Kerl zu tun zu haben. Auch die der Pfingstaktion der HAW gewidmete Berichterstattung in der Springerpresse (BZ) hat dazu beigetragen, dass die Mehrheit der Teilnehmer nicht davon angetan war, sich mit der Balkenüberschrift „Marsch der Lidschatten“ und einer ganzen Seite mit Fotos von Tunten konfrontiert zu erfahren. Was in der Regel die öffentliche Wahrnehmung von Medien Schwulen gegenüber bestimmt. Als Ergebnis der Konfrontation der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft mit uns. Im wachsenden Bewusstsein, dass dem nur mit der Forderung abzuhelfen ist, das eigene Schwulsein öffentlich zu machen. Unabhänig vom jeweiligen Erscheinungsbild.
Einer Absicht, dem auch ein Teilnehmer an den X. Sozialistischen Weltfestspielen der Jugend und Studenten im August 1973 in Ostberlin entsprach, der als offen schwuler Angehöriger der Delegation der britischen Labour Party von einem Redeverbot an der Humboldt Uni betroffen war. Weshalb er die Gelegenheit des Aufenthals an der Weltzeituhr auf dem Alex nutzte, um mithilfe eines Plakats zur Freiheit für Schwule im Arbeiter- und Bauernstaat aufzurufen. Ostberliner Aktivisten der HIB (Homosexuelle Interesengruppe Berlin) ist es damals gelungen, ihn vorm Zugriff der Stasi in Sicherheit zu bringen. Jahrzehnte später ist es Peter Tatchel, als englischem schwulen Aktivisten erneut gelungen, die Fußballweltmeisterschaft 2018 in Russland zu nutzen, um auf dem Roten Platz in Moskau auf die prekäre Situaion queerer Menschen dort aufmerksam zu machen.
Meiner Wohngemeinschaft mit Pompadour 1975 in der Moabiter Birkenstraße war der vergeblichen Versuch vorausgegangen, Mechthild Freifrau von Sperrmüll, prominentes Mitglied der Feministengruppe und des Kaders der HAW, einzubeziehen. Weshalb Pompi und ich im Verlauf eines halben Jahres immer jeweils sonntags um elf Uhr vormittags mit ihr zum Frühstück in ihrer Hinterhofwohnung in der Schöneberger Dennewitztraße verabredet waren. Mechthild war uns nicht nur in ihrer intellektuellen, sondern auch politischen Wandlungsfähigkeit, vor allem aber dank überragender Rhetorik überlegen. Beispielsweise dann, wenn es sich darum handelt das Blumentopfattentat eines ihrer Nachbarn auf sie lautstark publik zu machen. Auch werde ich nie vergessen, mit welchem Elan, sie wenige Jahre später darum bemüht war, die Machtergreifung der Mullahs im Iran mit deren Beendigung der Diktatur des Schahs zu rechtfertigen. Wahr ist aber auch, dass Pompi und ich – aus Rücksich auf ihre Gefühle und aus Furcht vor ihrer Rektion nicht wagten, sie darauf aufmerksam zu machen, uns für unseren Freund Nicki als Mitbewohner entschieden zu haben; als feige Memmen, die wir damals waren.
Von der Schwulenbewegung der 1970er Jahre ist auch an der einen oder anderen Stelle der von Patsy L’Amour La Love unter ihrem bürgerlichen Namen vorgelegten Publikation als Jugendbewegung die Rede. Beispielsweise durch den späteren schwulen Publizisten Elmar Kraushaar, mit dem ich damals in einer Gruppe zur Betreuung schwuler Gefangener verbunden war. Und im Rahmen regelmäßiger Besuche im Knast, zu Filmvorführengen und Diskussionsveranstaltungen in der JVA Tegel – einmal auch unter Teilnahme Rosa von Praunheims, der Vorbehalten von Gefangenen gegenüber schwulem Analverkehr mit dem Hinweis begegnete: „Als Mann hast du auch im Arsch Gefühle!“ Dem nichts weiter hinzuzufügen war.
Dreißig war für Kraushaar damals eine Schmerzgrenze. In meinem Fall war es bereits 1975 so weit. Aus Anlass der Feier meines 30. Geburtstags in der S-Bahn-Quelle am Savignyplatz, gemeinsam mit Nicki und Pompi, die mich dort mit einem Strauß von dreißig roten Rosen überraschten, um mir damit zu ermöglichen, jeder einzelnen von ihnen auf hochmelodramatische Weise den Kopf abzureißen. Im Bewusstsein, dass mich jenseits der Dreißig keine überwältigend neuen Erfahrungen mehr erwarteten. Während Pompi und Nicki um ihre Jugend zu beneiden waren. Und Pompadour um die Fähigkeit, mithilfe eines einzigen Augenaufschlags an der Fähigkeit anzuknüpfen, in die von Marlene Dietrich im Film veerkörperte Rolle Mata Haris zu schlüpfen, und sich des blank polierten Säbels des Wachhabenden des zur Erschießung angetretenen Wachbataillons als Spiegels zu bedienen, um ihre rot angemalten Lippen darin nachzuziehen.
Anders als im Fall Pompis, oder dem Tyllas oder Marias, als zwei proletarischen Tunten, die die Gelegenheit zum Boykott der Bar Neuf Trocadero in der Courbiérestraße, wegen eines über Rosa von Praunheim verhängten Hausverbots, nutzten, um sich uns aus Solidarität damit anzuschließen – war ich darauf angewiesen, mich eigens für meine Rolle der Polittunte Daisy zu präparieren, also darauf einzustimmen, als die ich gemeinsam mit allen anderen damals unterwegs war. Unter anderem auch mit Anna, und zwar auf dem Rücksitz ihres Motorrads, um uns im sozialistischen Zentrum in der Moabiter Stephanstraße mit dem hinreißenden Anblick des damals, im Alter von knapp zwanzig Jahren blutjungen Ezra Gerhardt konfrontiert zu erfahren, als dem gut aussehenden Chef der maoistischen Roten Garden und Sohn Renate Gerhardts, der damaligen Verlegerin Henry Millers in Deutschland. Um uns unterm Einflusss seines hinreißenden Anblicks zum maostischen Motto „Kampf, Kritik und Umgestaltung“ hinreißen zu lassen, begleitet vom überwiegend spielerischen Umgang damit – nach Mottro, drei Schritte vor, zwei zurück, um in Verbindung damit tausend Blumen zum Blühen zu bringen. Aber auch Salomé, Mechthild, Bertha, Helene und Pompi ist es gelungen, mich dafür zu gewinnen, mich in ihrer neidvollen Bewunderung zu verausgaben.
Ganz zu schweigen von Baby Jane Hudson, der Patsy ein ganz besonderes, sehr berührendes Kapitel widmet (S. 267-280). In ihrer Eigenschaft als Tunte, die damals kein Problem damit hatte, dies öffentlich zu machen, egal ob mit oder ohne Fummel. Auch als Lehrkraft vor der von ihr unterrichteten Schulklasse. Mit dem Ergebnis ihrer fristlosen Entlassung aus dem Schuldienst. Ich bin nicht mal sicher, ob es für sie eines besonderen Mutes bedurfte, um den Schritt an die Öffentlichkeit zu wagen. Weil in ihrem Fall was anderes nicht denkbar schien und infrage kam, als sich mit Unterstützung ihrer schwulen Lehrerkollegen und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im Rahmen eines Arbeitsgerichtsverfahrens dagegen starkzumachen. Nach dem Motto: Hier stehe ich und kann nicht anders. Mit der Folge, dass ab diesem Zeitpunkt Homosexualität im Schuldienst kein Kündigungsgrund mehr war.
Ein Ergebnis des Tuntenstreits in der HAW bestand für mich auch darin, dass die Niederlage im HAW-Plenum mit der Erfahrung verbunden war, dass der Rosa Winkel ab diesem Zeipunkt unveräußerlich in unserem Bewusstsein verankert war. Als Ergebnis der gemeinsamen Lektüre von Heinz Hegers Erinnerungsbuch „Die Männer mit dem Rosa Winkel“ und Annas Aufenthalt und Studium der im Dokumentationszentrum des Roten Kreuzes im Hessischen Bad Aroldsen aufbewahrten Akten schwuler KZ-Häftlinge. Die Notwendigkeit schwuler Sichtbarkeit war ein wesentliches Ergebnis davon, damals noch umtritten, aber spätestens beim ersten Berliner CSD am letzten Sonnabend im Juni 1979 konsensfähig, um in seiner zentralen Forderung zu gipfeln: „Mach dein Schwulsein öffentlich“. Während Frauen mit der Forderung unterwegs waren: „Lesben erhebt euch und die Welt erlebt euch!“ Zu einem Zeitpunkt, als wir nicht mehr im Gleichschritt und unter roten Fahnen, sondern tanzend unterwegs waren, als Ausdruck unserer gewachsenen lesbisch/schwulen Unabhängigkeit und unseres daraus resultierenden Stolzes darauf.
Vor allem Andreas Pareiks Initiative ist es zu verdanken, dass uns der 10. Jahrestag von Stonewall dazu diente, dafür zu sorgen, auch in Berlin Wellen zu schlagen. Während wir in den Jahren zuvor überwiegend mit uns selber und unseren eigenen Querelen beschäftigt waren. Andreas war es, der im Frühjahr 1979, nach dem Besuch seines Freundes Tom Backen in New York von dort zurückkam, um im 1977 gegründeten SchwuZ dafür zu sorgen, mich dafür zu gewinnen, die Sache selber in die Hand zu nehmen und einen Flugblattaufruf zum ersten Berliner CSD zu verfassen, um damit zu vermeiden, in nicht endenwollenden Diskussionen im SchwuZ, in der AHA oder im LAZ unterzugehen, also den Zeitpunkt des zehnten Jahrestag von Stonewall zu verpassen. Er war es, der den Stein ins Rollen brachte und den CSD als politische Demonstration angemeldet hat und dem es gelungen ist, mich dafür zu gewinnen, ihn darin zu unterstützen, um gemeinsam die Basis dafür im Schneeballsystem zu erweitern. Vor dem Hintergrund der Erfahrung, dass bewusste Schwule damals zwar überschaubar, aber kein heterogener, sondern in sich gespaltener Haufen waren,
Das SchwuZ machte da keine Ausnahme. Dessen Tressen noch vor seiner Eröffnung 1977 abgerissen und von anderen anschließend wieder aufgebaut worden war. Aufgrund antikapitalistisch motivierter Kritik an ihm, beispielsweise durch Elmar Kraushaars damalige Klappen-AG, die sich auch zum Stinkbombentat im Darkroom der Knolle bekennt. Insbesondere Grete ist auf Plenen mit ihrer Kritik in Erscheinung getreten – an vermeintlich faschistoiden Tendenzen von Angehörigen des Berliner MSC, als Anhängern sogenannten Motorsports und Natursekts. Auch politische Einzelgänger, wie Ulrike-Ulrich Enderwitz sind im Plenum damals, als Ein-Personen-Partei KPU, mit Kritik am sogenannten reaktionären Dimmer – zur stufenlosen Regulierung der Lichtanlage – aufgefallen. Ohne dabei zu berücksichtigen, dass offene Abende nicht zuletzt dazu dienten, aus ihrem finanziellen Erlös, die Miete zu bezahlen. Auch Lilli Donners Präsenz ist mir in Erinnerung geblieben, dank eigenen Sessels und Bierkastens zu ihren Füßen. Manchmal hat es genügt, die Augen zu schließen, um das akustische Plop jeder einzeln zu öfnenden Flasche Bier zu registrieren und einen ihr zu verdankenden Redebeitrag, in Gestalt eines einzigen Satzes, als Reaktion auf einen vorangegangenen Beitrag und Kritik an ihm: „Das ist eine Reduktion auf den Genitizismus!“ Um sich mir weniger seinem Sinn nach, als anhand der Eindringlichkeit und des Pathos des Vortrags zu erschließen, im Gefühl und unterm Eindruck, mich in Rosas Film einbezogen zu erfahren, an dem sie als Stimme aus dem Off beteiligt war, die sich uns alle damals tief eingeprägt hatte.
In Erinnerung an jene Zeit, in der Schwule nicht derart radikal, wie inzwischen, in Tunten, Kerle, Spontis oder marxistische oder angepasste Leder- oder Plüschschwule gespalten waren, sondern noch unterm Dach von Hennys S-Bahn-Quelle oder Quise ihre gemeinsame Heimat hatten. Als ich wochenlang damit beschäfttigt war, Lila aus der Feministengruppe eine Stola aus lila Wolle zu stricken, woran sie sich heute nich mehr erinnert. Während im rückwärtigen Bereich Kerle im vollen Ornat ihrer Ledermontur unterm von Henny unterhalb der Decke befestigten Maschine einer Harley Davidson versammelt waren.
Anhand Andreas Pareiks Beispiel, auf den sich Patsy aufgrund seiner Ende der Siebziger Jahre verfassten, damals als Diplomarbeit in Fortsetzungen in der BSZ veröffentlichten „Geschichte der HAW“ bezieht, wird deutlich es in ihrer Fasssung und Aufarbeitung der Schwulenbewegung der 1970er Jahre, gleichzeitig mit der Geschichte von Menschen zu tun zu haben, die in unserer Erinnerung an jene Zeit heute keine Rolle mehr spielen. Obwohl von ihnen entscheidende Impulse ausgingen, wie im Fall Andreas Pareiks. Über den das Archiv des Schwulen Museums in lapidarer, von Patsy auf S. 120 zitierter Kürze Auskunft gibt: „Andreas Pareik: gestorben bei einem Autounfall ca. 1978“ Ohne zu berücksichtigen, dass sein Anteil am 1. Berliner CSD nicht hoch genug zu veranschlagen ist, ebenso wie im Fall der Berliner Schwulen Zeitung (BSZ) in der Zeit zwischen 1977 und 1982, als seinem eigentlichen Todesjahr, mit ihm als Opfer eines Autounfalls mit für ihn tödlichem Ausgang. Der außerdem 1981 an der Inititive zum lesbisch/schwulen Kommuniktions- und Beratungszentrum in der Kreuzberger Hollmannstraße beteiligt war, aus dem später die heutige Lesben- und Schwulenberatung hervorgegangen sind.
Zu einem Zeipunkt, ab dem uns erste Nachrichten von der Schwulenseuche in den USA erreichten. Und Wolfgang Theis und ich, im Rückblick auf einen 1977 dort absolvierten Aufenthalt, dank fünfjähriger Inkubationsszeit nicht ausschlossen, uns damals infiziert zu haben. Als Auftkt zum ab diesem Zeitpunkt nicht wieder abreißenden Aderlass und Verlust zahlreicher Freunde und Gefährten, deren Geschichte ebenfalls noch zu schreiben ist.
Patsy möchte ich dafür danken, eine nicht hoch genug zu veranschlagende Arbeit abgeliefert zu haben, die sich streckenweise so spannend wie ein Krimi liest, in einer nicht akademischen, sondern allgemeinverständlichen, auch für Nichtakademiker wie mich nachvollziehbaren Sprache, zur Erlangung des Doktorgrades, zu dem ich sie beglückwünschen möchte.
Aber vielleicht sollten wir, die dabei waren, uns nicht auf Ausnahmemenschen wie Patsy verlassen, sondern uns an die eigene Nase fassen, um gleichfalls Spuren zu hinterlassen. Auf die Gefahr hin, Wunden aufzureißen, die noch nicht vernarbt sind. Dafür würde sich beispielsweise das in der Stiftung Magnus Hirschfeld – unter Jörg Litwinschuhs Regie – angesiedelte Archiv der Erinnerung anbieten. Was es denen nach uns erleichern würde, daran anzuknüpfen, wie es Patsy auf eindrucksvolle und bewundernswerte Weise mit ihrer jetzt vorliegenden Buchveröffentlichung gelungen ist:
Patrick Henze: Schwule Emanzipation und ihre Konflikte. Zur westdeutschen Schwulenbewegung der 1970er Jahre. Querverlag Berlin, 2019, 424 S. 18 €