Die Hälfte des Himmels oder Trouble in Berlins queerer Community

Alle haben wir vor allem uns selbst im Blick. Was auch gut so ist. Um an Klaus Wowereits Outing anzuknüpfen. Das dem Motto des ersten Berliner CSD am 30. Juni 1979 entspricht: „Mach dein Schwulsein öffentlich!“ Niemand wäre es damals eingefallen, die Teilnahme lesbischer Frauen daran  infrage zu stellen. die im Rahmen des ersten Berliner CSD mit ihrem eigenen Motto unterwegs waren: „Lesben erhebt euch und die Welt erlebt euch!“ In einer Phase in der Frauen und Schwule in Parteien und Gewerkschaften als Verbündete agierten, beispielsweise im Hinblick auf die Forderung nach Streichung der Paragrafen 218 und 175.

Wenn Frauen nicht an der Vorbereitung des ersten Berliner CSD beteiligt waren, dann aus demselben Grund, aus dem seine Organisatoren, damals davon absahen, schwule Institutionen einzubeziehen, wie beispielsweise die AHA oder das SchwuZ, als unserer damaligen Heimat. Diskussionen in einem solchen Rahmen hätten mit Sicherheit dazu beigetragen, den Termin des 10. Jahrestages des Aufstands im Stonewall Inn am 30. Juni 1969 zu verpassen, wie es in den 9 Jahren zuvor der Fall war, weil wir  vor allem mit uns selbst beschäftigt waren.

Zehn Jahre später soweit, uns des Buchladens Prinz Eisenherz, Café Anderes Ufer, des SchwuZ und der BSZ (Berliner Schwulen Zeitung) zur Verbreitung unseres selbst verfassten Flugblattaufrufs zum ersten Berliner CSD zu bedienen, in der unrealistischen Erwartung, auch von Martin Dannecker  als  „gewöhnliche Homosexuelle“ bezeichnete Schwule einzubeziehen, weil sie in ihrer überwiegenden Zahl zum damaligen  Zeitpunkt  noch um einiges davon entfernt waren, dies auf sich zu beziehen, wie es im Rahmen der AIDS-Krise der 1980er Jahre der Fall sein wollte, dank wachsenden Bewusstseins von uns selbst. Trotzdem haben wir es uns damals nicht nehmen lassen, in allen Bereichen der schwulen Subkultur für die Teilnahme daran zu trommeln – in Bars, Kneipen, Cafés, Klappen oder nächtlichen Parkanlagen, wie beispielsweise dem Tiergartenareal oder tagsüber auf Deck B des Wannseebades ,

Als es soweit war, einigermaßen davon überrascht, uns beim CSD am letzten Sonnabend im Juni ’79 nicht nur mit Polittunten oder Schwulen aus der AHA oder dem SchwuZ konfrontiert zu erfahren, sondern auch vereinzelten Anhängern des MSC Berlin, als den Liebhabern des Motorsports und sogenannten Natursekts. Deren Integrität radikalen Tunten im SchwuZ dazu diente, sie – dank ihnen unterstellter faschistoider Tendenzen –  einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Am überraschendsten aber gleichzeitig auch selbstverständlichsten war die Teilnahme zahlreicher lesbischer Frauen, mit denen wir  gemeinsam vom Savignyplatz aus – via Kant- und Joachimsthaler Straße und anschließend den Kudamm hinab bis nach Halensee unterwegs waren. Nicht im Gleichschritt und unter Roten Fahnen, wie in den Jahren zuvor (beispielsweise bei  Erster-Mai-Demos), sondern tanzend. Als Ausdruck des gewachsenen lesbisch/schwulen Stolz‘ und Selbstbewusstseins.

Die Tatsache, dass Schwule heute stärker im Focus der öffentlichen Wahrnehmung stehen als lesbische Frauen (die sich mit Recht darüber beklagen, weniger sichtbar zu sein) ist einmal der Tatsache unserer nach wie vor patriarchalisch strukturierten Gesellschaft zu verdanken, in der Männer gegenüber Frauen noch immer überwiegend die erste Geige spielen, aber auch der Tatsache, dass Schwule sich sehr früh, bereits seit 1973, dessen bewusst waren, nur durch ihre Sichtbarkeit zu einer Veränderung ihrer unbefriedigenden gesellschaftlichen Situation beizutragen. Während in der öffentlichen Wahrnehmung stehende Frauen, wie Alice Schwarzer vorzogen, sich überwiegend auf ihre feministische Rolle und Funktion zu beziehen. Um es  Rosa von Praunheim und Martin Dannecker zu überlassen, vorzugsweise als Schwule auf sich aufmerksam zu machen. Gemeinsam mit  all denen, die trotz  ihres Minderheitenstatus bundesweit und in Westberlin als offen Schwule unterwegs und am Aufbau entsprechender Strukturen und Institutionen beteiligt waren, die heute noch die Berliner Community bestimmen, wie  die Schwulenberatung Berlin, das Schwule Museum oder die Berliner Aidshilfe, um mich nur auf sie zu beziehen.

Der Beratungsdienst der ca. 120 Mitarbeitern der Schwulenberatung beschränkt sich 40 Jahre nach ihrer Gründung längst nicht mehr auf ihre traditionell schwule Klientel und ihr Wirkungskreis hat sich mittlerweile auf ganz Berlin ausgedehnt, während der Radius der Lesbenberatung überschaubar geblieben ist. Was nichts darüber aussagt, dahinter zurückzustehen. Es könnte durchaus der Fall sein, dass wir einfach zu wenig darüber wissen. Weil die Lesbenberatung, anders als das Schwesternprojekt RuT in der letzten Zeit wenig Aufmerksamkeit erregt hat.

Auch im Rahmen des Streits und der Auseinandersetzung um das Auswahlverfahren über ein Grundstück für ein Haus für lesbische Frauen auf der Schöneberger Linse, überwiegend zwischen RuT und der Schwulenberatung ausgetragen. In einem Zusammenhang, in dem es sich vor allem darum handelte, Schwule als solche und die Schwulenberatung im Besonderen anzugreifen. Auf der Ebene einer unseligen wenig hilfreichen Konkurrenz beider Projekte, von denen der Schwulenberatung aus der Sicht lesbischer Frauen der Platz auf der Anklagebank zugedacht, jenseits der Bereitschaft, sich an die jeweils eigene Nase zu fassen, und sich bewusst zu machen, dass im Rahmen einer solchen Auseinandersetzung davon auszugehen ist, dass beide Kontrahenten dabei eine Rolle spielen. Was in der Hitze des Gefechts und der Auseinandersetzung darüber auf beiden Seiten zeitweise unter den Tisch gefallen ist.

Wenn sich lesbische Frauen wie Stefanie Kuhnen („Lesben raus!“) über eine wesentlich geringere lesbische Sichtbarkeit beklagen, so auch  in in ihrem Beitrag für die jüngst erschienen März-Ausgabe der Siegessäule, liegt es nahe, die stärkere öffentliche Präsenz und Wirksamkeit schwuler Männer dafür verantwortlich zu machen. Während sich die Aufforderung gleichzeitig auch an lesbische Frauen selber richtet, als Ermutigung, als Lesben noch sehr viel stärker in Erscheinung zu treten, als bislang.

Aus meiner Zusammenarbeit mit lesbischen und bisexuellen Frauen im Rahmen meiner Mitarbeit im Theaterprojekt AUFBEGEHREN im Sommer des vergangenen Jahres, weiß ich beispielsweise, dass lesbische und bisexuelle Frauen es auch nicht immer leicht miteinander haben. Was sich durchaus auch auf das Verhältnis schwuler und bisexueller Männer übertragen lässt. Teilweise aus ähnlichen, also vergleichbaren Gründen. Wenn lesbische Frauen in der Vergangenheit darüber hinaus Schwierigkeiten hatten, sich zu outen, dann weil manche von ihnen vielleicht verheiratet waren und Kinder hatten, also aus berechtigter Angst davor, durch ein solches Selbstbekenntnis das Sorgerecht für ihre Kinder zu verlieren.

Fakt ist auch dass lesbische Frauen noch beim 30. CSD 2008, also vor zehn Jahren, davon überzeugt waren, es in ihm mit einem reinen „Männerding“ zu tun zu haben. Und sie sich erst seit 2006 aktiv im Schwulen Museum engagieren. Mit dem Höhepunkt der Vorstandswahlen im vergangenen Jahr. 2018 war aber auch das Jahr, in dem führende Mitarbeiter*Innen des CSD e.V. sich als Frauen an die Front wagten, U.a. im Rahmen der die Prideweek einleitenden Pressekonferenz im Schwulen Museum,  die im vergangenen Jahr ausschließlich von Frauen bestritten wurde, wie beispielsweise der großartigen Monique King, um nur sie zu nennen. Womit es ihnen gelungen ist ein Zeichen zu setzen. In der Nachfolge des ehedem schwulen Stadtmagazins Siegessäule, dem es inzwischen gelungen ist, unter weiblicher Regie die erfolgreiche Transformation zu einem Magazin zu vollziehen, das mittlerweile die Belange aller in der Community vertretenen Gruppen berücksichtigt, nach dem Motto: „We are queer Berlin„. Um  unsere gesamte Vielfalt und Bandbreite abzubilden und zum Ausdruck zu bringen.

Ein Anspruch, den sich auch der „Lebensort Vielfalt“ auf die Fahnen gechreiben hat – als geschlechterübergreifendes queeres Mehrgenerationenwohprojekt. Nach dem Motto: Alle zusammen unter einem Dach! Und zwar in der Absicht, die Interessen aller Gruppen zu berücksichtigen und niemanden auszuschließen.

Bedauerlich ist, dass sich das SMU unter weiblicher Regie durch den jüngst von Gladt e.V. erhobenen Vorwurf des Eurozentrismus und Neokolonialer, rassistischer Tendenzen hat verunsichern lassen. Bezogen auf die im SMU zu besichtigende Infowand, über den  Stand homophober und transphober Tendenzen in der Welt. Als Vorwurf auf einer vergleichbaren Ebene nachvollziehbar, wie Judith Butlers vor Jahren gegenüber dem Berliner CSD erhobenen Rassismusvorwürfe, die sie zum Anlass nahm, die Annahme des ihr verliehenen Zivilcouragepreises Soul of Stonewall Award zu verweigern.

Als Teilnehmer der Besichtigung des SMU durch Jugendliche aus der Internationalen Jugendbegegnungsststätte Wannsseeforum, habe ich die Erfahrung gemacht, welche befreiende Wirkung die im SMU installierte Wand haben kann, wenn sie einen jugendlichen Migranten aus Afghanistan dazu veranlasst, auf seine persönliche Situation in seinem Land aufmerksam zu machen, und darauf, dieses aufgrund der ihm drohenden Gewalt verlassen zu haben.  Um mit diesem Bekenntnis zu sich selbst, nicht nur viel Anteilnahme zu finden, sondern auch eine lebhafte Diskussion anzuregen, Was ich gerne zum Anlass nehmen möchte, für die dauerhafte Beibehaltung der infrage stehenden Info-Wand zu plädieren, als Dauereinrichtung. Nicht in der Absicht, darauf aufmerksam zu machen, was wir in Europas inzwischen erreicht haben, sondern um unsere Solidarität und Empathie für die zum Ausdruck bringen, die anders als wir noch voll von der weltweit dominierenden Ablehnung ihrer jeweiligen queeren sexuellen Orientierung betroffen sind.

Wie die Auseinandersetzung darum erübrigt sich für mich auch der gleichfalls ideologisch motivierte Streit um das Copyright am vor 50 Jahren vollzogenen Aufstands im Stonewall Inn. Wesentlich ist, dass wir  alle, als Betroffene  davon profitieren, egal ob als Lseben, Schwule,  Bi- , Trans- oder Intersexuelle. Als  Auftakt zu einer weltweiten  queeren Emanzipationsbewegung im Verlauf der vergangenen fünfzig Jahre – vor dem Hintergrund der Entkriminalisierung unserer homosexuellen Orientierung und Rosas und Martin Danneckers aufsehenerregendem Film der frühen 1970er Jahre, sowie der Gründung der HAW in Westberlin und der HIB (Homosexuelle Interesengemeinschaft Berlin) im Ostteil der Stadt, im zeitversetzten Abstand von anderthalb Jahren. Samt allen seitdem damit verbundenen Folgen für uns alle. In Gestalt des Tuntenstreits im Westen und staatlichen Verbots der HIB in der Hauptstadt drüben, mit der Folge der Gründung des inzwischen bereits wieder in seiner Existenz bedrohten Sonntagsclubs.

Wenn Frauen sich im Rahmen der Auseinandersetzung um ihre geringere lesbische Sichtbarkeit den Vorwurf gefallen lassen müssen, sich aufgrund ihrer Mitarbeit in traditionell schwulen Leuchtturmprojekte ins gemachte Nest setzen zu wollen, anstatt sich selbst was einfallen zu lassen, handelt es sich zumeist um den Ausdruck der Furcht schwuler Männer vor ihrem Bedeutungsverlust und dem ihrer Privilegien. Was mich darin bestimmt, an der Idee und Vorstellung anzuknüpfen, dass der Himmel groß genug ist für uns alle, um ihn zu teilen, entsprechend der inzwischen, in den vergangenen vierzig Jahren gewachsenen Queeren Community Berlins. Als Ergebnis  der Erfahrung meiner Zusammenarbeit mit Angehörigen anderer Gruppen, was mich daran hindert, mit Abwehr auf andere, mir scheinbar fremde Guppen zu reagieren, im Sinne ihrer Ausgrenzung. Weil Schwule meinen, nur so in der Lage zu sein, den Mangel an Wertschätzung für ihre jahrzehntelange Arbeit zu vermeiden. Kulminierend in zur Kampfabstimmung stilisierter Vorstandswahlen im Schwulen Museum Berlin im vergangenen Jahr, woran sowohl Frauen als auch schwule Männer beteiligt waren, Die angesichts einer veränderten Corporate Identity davon ausgehen und befürchten, bald schon keine Rolle mehr zu spielen. Weil der Begriff schwul nahezu ganz hinter dem neuen Logo SMU verschwindet. Wer erinnert sich heute beispielsweise im Fall der BASF noch an ihre ursprüngliche Bedeutung: Badische Anilin und Sodafabrik. Niemand mehr. Was auch im Fall des bislang Schwulen Museum nicht auszuschließen ist und von denen befürchtet wird, für die der Begriff schwul eine existentielle Bedeutung hatte, die jetzt keine Rolle mehr spielen soll. Was ebenso wenig nachvollziehbar ist, wie der Verzicht der Vorstandsfrauen bei den Vorstandswahlen im Berliner SMU, den unterlegenen Kontrahenten die Hand zu reichen.

Auch die Mitarbeit am Projekt zweier großartigen Transaktivist*Innen – Naomi Noah Donath und Henry Böttcher – und ihres Films „Loud Pride – Quiet Riot“ war für mich mit der Erfahrung verbunden, mich mit erheblicher Kritik gegenüber Schwulen konfrontiert zu erfahren, im Rahmen einer streitbaren Auseinandersetzung darum, die der Film dokumentiert, als einem Konzert vieler verschiedener Stimmen, die einander entsprechen und sich nicht ausschließen. Um den Eindruck dessen zu vermitteln, was Stefanie Kuhnen als Familienauseinandersetzung beschreibt, bei der es auch mal richtig Krachen darf. Wie im Fall des Streit  um ein Grundstück auf der Schöneberger Linse oder im Rahmen der Auseinandersetzung um den Berliner CSD vor einigen Jahren, mit dem Ergebnis seiner anschließenden Neuorientierung.

Seit sieben Jahren, also seit 2012 verfüge ich im Lebensort Vielfalt Berlin über meinen Lebensmittelpunkt, und durftre in diesem  Zeitraum die Erfahrung machen, dass sich Anspruch und Wirklichkeit zuweilen ausschließen und nicht immer Deckungsgleich sind, sondern einander hinterherhinken. Anfangs war noch von einer  transsexuellen WG unterm Dach des LOV die Rede, die dann leider nicht zustande gekommen ist, weil die daran Beteiligten im letzten Moment abgesprungen sind. Auch der Anspruch auf lesbische Teilhabe, hat sich nicht im vollen Umfang, sondern nur bedingt verwirklichen lassen. Weil lesbische Frauen zum damaligen Zeitpunkt noch erhebliche Schwierigkeiten hatten, sich auf ein Zusammenleben mit schwulen Männern unter einem Dach zu verständigen. Gipfelnd in der damaligen Erklärung vereinzelter lesbischer Frauen nur unter der Voraussetzung einer  Etage nur für sie allein einziehen zu wollen. Die Frauen die damals trotz allem eingezogen sind haben seitdem keine Schwierigkeiten damit, sich Tür an Tür mit schwulen Männern untergebracht zu wissen. Obgleich einzuräumen ist, dass die einzige Lesbe unter ihnen, sich schon mehr lesbische Präsenz wünschen würde. Aber auch sie denkt nicht daran, darum auszuziehen. Mit einem weiteren Lebensort Vielfalt verbinde ich aber die Erwartung, sich doch verwirklichen zu lassen. Was mich nicht daran hindert, den Frauen von RuT Glück zu wünschen, und den Mut, im Rahmen der Verwirklichung ihrer berechtigten Forderung: „Ein Haus für RuT!“. Weil ich davon ausgehe, dass beide Projekte sich nicht ausschließen, sondern ergänzen. Und hoffe sehr, dass sich das auch unter den Verantwortlichen der rot-rot-grünen Senatskoalition  – und zwar möglichst vor ihrer  2021 drohenden Abwahl – herumspricht.

Und uns allen wünsche ich als queere Community Berlins den langen Atem, uns im  Widerstand gegen Rassismus, Antisemitismus, Frauen- und Fremdenfeindlichkeit, sowie Homo- und Transphobie auch durch Rückschläge nicht beeinträchtigt zu erfahren und kleinkriegen zu lassen.

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