Außer der Jury der BIM weiß niemand, was im Fall der Vergabe eines Grundstücks am S-Bahnhof Südkreuz ausschlaggebend war, dass – wie am vergangenen Montag bekannt geworden ist – die Schwulenberatung Berlin den Zuschlag erhalten hat – für einen weiteren Lebensort Vielfalt. Für die Frauen von RuT, dem Neuköllner Lesbenprojekt – ein schwerer Rückschlag.Noch besteht für sie die Möglichkeit einer Einspruchsfrist. Ob sie genutzt wird bleibt abzuwarten. Was die Schwulenberatung vor Jahresfrist zum Anlass nahm, auf Unregelmäßigkeiten in der Vergabe aufmerksam zu machen, dürfte schwerlich wiederholbar sein. Weil ich mir nicht vorstellen kann, dass die Vergabejury zweimal den gleichen Fehler macht. Aufgrund dessen das Vergabeverfahren neu eröffnet werden musste. Jetzt ist die Entscheidung zugunsten der Schwulenberatung gefallen. Entgegen dem starken Votum der Community für das Frauenprojekt von RuT. Die eine tolle Lobbyarbeit geleistet haben. Ich jedenfalls kenne in meinem Umfeld niemanden, der RuT das moralische Recht auf ein eigenes Haus abspricht. Weil sie am Zuge sind.
Ein unangenehmer Beigeschmack ergibt sich aber aus dem Umstand der unseligen Konkurrenz zwischen beiden Projekten, die gegeneinander angetreten sind. Mit der Folge einer kaum überschaubaren Gemengelage. Gipfelnd im die Schwulenberatung betreffenden Vorwurf, den Frauen ihr Projekt nicht zu gönnen, sondern es ihnen stehlen zu wollen.
Wahr ist, dass RuT sich bewusst auf die Konkurrenz mit der Schwulenberatung eingelassen und in das Vergabeverfahren eingeklinkt hat, als es bereits im Gange war, weil sie von Mitarbeitern der SB davon erfahren haben, mit denen sie seit Jahren im Projekt BALSAM (Berliner Arbeitskreis für lesbische und schwule alte Menschen) vertrauensvoll zusammenarbeiten. In diesem Rahmen spielte der Lebensort Vielfalt bereits Jahre vor seiner Eröffnung eine Rolle. Damals haben Frauen noch die Auffassung vertreten, dass dies kein Modell für sie ist, weil Lesben lieber in kleineren Einheiten zusammenleben wollen. WGs beispielsweise. Seit sie aber in das Thema eingestiegen sind, verfolgen sie ein vom LOV abweichendes Konzept, in Gestalt eines Frauen vorbehaltenen Schutzraumes und Kulturorts, mit einem andere Gruppen der Community ausschließendem Charakter. Und haben darum wahrscheinlich das Angebot zur Zusammenarbeit und gemeinsamen Bewerbung um das Grundstück ausgeschlagen.
Was sicherlich, aus der Sicht der Frauen, seine Berechtigung hat, für mich als schwulem Mann aber kein Ort wäre, in dem ich mich gut untergebracht fühlen würde. Weshalb wir uns in der Vorbereitungszeit des LOV früh bereits für ein Mehrgenerationen- und Geschlechterübergreifendes Projekt entschieden haben. Weshalb ich dem Projekt von RuT gegenüber befangen bin, weil ich es als antiquiert empfinde, und als Relikt einer vergangenen Zeit, in der sich alles nur um lesbische/schwule Belange drehte. Trotzdem will ich dem Projekt von RuT seine Berechtigung nicht absprechen, sondern unterstütze es uneingeschränkt.
Weil ich, anders als Manuela Kay in der Siegessäule nicht davon ausgehe, dass mit der Vergabe des Grundstücks an die SB das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Sondern für die Politik die Aufgabe jetzt darin besteht, für RuT einen Ausgleich zu schaffen. Weil nicht akzeptabel ist, dass lesbische Frauen leer ausgehen sollen. Als einem weiteren Indiz und Beleg für unsere immer noch überwiegend patriarchalen gesellschaftlichen Strukturen.
Als schwuler Mann, der das Privileg des Ersteinzugs in den Lebensort Vielfalt genießt, (nach Jahren des gemeinsamen Einsatzes dafür – seit 2005) freue ich mich natürlich darüber, dass der Zuschlag auf die Schwulenberatung gefallen ist. Nicht dagegen darüber, dass RuT leer ausgehen soll. Weshalb ich darin gespalten bin und mit einem lachenden und weinenden Auge darauf reagiere.
Richtig ist, dass einem Projekt der Vorzug eingeräumt wird, in Gestalt des Lebensort Vielfalt, das sich bewährt hat und über einen Modellcharakter nicht nur für Schwule, sondern auch andere gesellschaftliche Gruppen verfügt. Im Rahmen der Regenbogen-Hauptstadt Berlin. Weil im Fall des LOV das Prinzip der Offenheit und Inklusion besteht, um alle Gruppen der Community einzubeziehen und niemanden auszuschließen. Nach dem Motto: Männer und Frauen, ob alt oder jung, gemeinsam unter einem Dach. Frauen wollten damals nur unter der Voraussetzung einer eigenen Etage einziehen. Was nicht verwirklichbar war. Weil es nicht dem Konzept des LOV entsprochen haben würde, als einer gemischten und solidarisch für einander eintretenden und sich gegenseitig unterstützenden Hausgemeinschaft. Als einer uns seit dem Einzug begleitenden Aufgabe, die zunehmend immer besser klappt. Trotz gelegentlichen Troubles. Frauen, die damals mit Vorbehalten eingezogen sind, können sich heute, nach sechs Jahren, kaum noch daran erinnern, was für sie damals ausschlaggebend dafür war.
In der Vorbereitungszeit des LOV bestand auch die Absicht, eine WG von transidenten Menschen in die Hausgemeinschaft zu integrieren. Deren Teilnehmer leider im letzten Moment abgesprungen sind. Im Vorgriff auf einen weiteren Lebensort Vielfalt auf der Schöneberger Linse würde ich mir wünschen, diese Idee wieder aufzugreifen und verwirklicht zu erfahren. Weil ich inzwischen die Erfahrung machen durfte, welche Bereicherung meiner Lebensqualität der Umgang mit allen zahlreichen Gruppen der Community bedeutet. Beispielsweise im Rahmen der Teilnahme an einem im Vorfeld des 40, CSD in diesem Jahr realisierten Films von Naomi Noah Donath und Henry Böttcher, denen es gelungen ist, in „Loud Pride – Quiet Riot“ einen Querschnitt aller Gruppen der Queeren Community abzubilden. Die Qualität ihres Films besteht darin, die gesamte Vielfalt an Meinungen, Auffassungen, Erfahrungen von Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung zu bündeln, die sich in vielem unterscheiden, aber über ein gemeinsames Ziel verfügen, zusammen zu einem weiteren gesellschaftlichen Fortschritt beizutragen.
Auch im Rahmen der Teilnahme am Theaterprojekt AUFBEGEHREN war ich in der Lage, an der Erfahrung von lesbischen und bisexuellen Frauen und Schwulen aus dem Ostteil Berlins zu partizipieren, was mich absolut bereichert und meinen Horizont erweitert hat. Auf der Grundlage einer solidarischen, freundschaftlichen Zusammenarbeit. In diesem Zusammenhang hat sich mir auch der problematische Umgang von lesbischen und bisexuellen Frauen erschlossen. Und die Tatsache, welche Schwierigkeiten Frauen haben, die in einer Ehe mit einem Mann befürchten müssen, durch die Offenlegung ihrer lesbischen oder bisexuellen Identität das Sorgerecht für ihre Kinder zu verlieren.
Angesichts dessen sich die Frage danach relativiert, weshalb lesbische Frauen weniger sichtbar sind, als Schwule. Die die Bewegung über viele Jahrzehnte dominierten, dank auf sich selbst bezogener, erfolgsorientierter Arbeit, und öffentlicher Präsenz, zur Verwirklichung unserer Ziele. Vor dem Hintergrund unserer öffentlichen Wirksamkeit, nach dem Motto „Mach dein Schwulsein öffentlich!“ Um darüber Einfluss auf die Notwendigkeit zur gesellschaftlichen Liberalisierung und Öffnung für unsere Belange zu gewinnen. Weshalb wir heute in der Lage sind, auf Leuchtturmprojekte zu blicken, wie das Schwule Museum oder die Schwulenberatung Berlin, um mich nur auf sie zu beziehen.
Unter Schwulen war es nicht nur Rosa von Praunheim vorbehalten, eine öffentliche Rolle zu spielen. Dem es mit seinem Vorpreschen gelungen ist, versteckt lebenden Schwulen wie Alfred Biolek oder Hape Kerkeling die Erfahrung zu vermitteln, dass sich das Spannungsverhältnis zwischen Beruf, Karriere und privatem Leben nach dem Outing auflöst oder weniger kompliziert gestalten lässt. Biolek hat jüngst, mit inzwischen über Achtzig in einer Talkshow Auskunft darüber gegeben, dass für ihn damit ein Schlag in den Rücken verbunden war, der im bewusst machte, welche Nachteile mit einem Leben im Verborgenen verbunden sind und welche Erleichterung und Bereicherung es für ihn bedeutet hat, sich nicht mehr verstecken zu müssen, sondern seine Bedürfnisse leben zu dürfen.
Während Alice Schwarzer über Jahrzehnte hin erhebliche Schwierigkeiten damit hatte, ihre sexuelle Orientierung mit dem Anspruch einer feministischen Ikone in Einklang zu bringen. Was weitgehend inzwischen der Vergangenheit angehört. Heute freue ich mich darüber und kann schwule Jungs dafür beglückwünschen über die Institution der Ehe für alle zu verfügen und als Väter in der Lage zu sein, Fotos mit ihrem Nachwuchs auf dem Arm in den sozialen Medien zu posten. Zu meiner Zeit eine kaum vorstellbare Erfahrung.
Was uns nicht der Aufgabe enthebt, uns mit der Frage zu befassen, warum Frauen immer noch weniger Geld verdienen als der Mann und wie es gelingen kann, die Voraussetzungen zu mehr lesbischer Sichtbarkeit zu schaffen, wie es sich die Autorin und lesbische Aktivistin Stephanie Kuhnen zur Aufgabe gemacht hat. Angesichts des viel zu langsamen gesellschaftlichen Wandels in diesen Fragen kann ich nachvollziehen, dass Frauen mit Ungeduld darauf reagieren, und darauf drängen, bislang dem Mann vorbehaltene Privilegien einzuklagen.
Ich bewundere sehr, dass es Manuela Kay gemeinsam mit ihrer Partnerin Gudrun Fertig gelungen ist, das schwule Stadtmagazin Siegessäule einer erfolgreichen Transformation zum Queeren Stadtmagazin zu unterziehen und möchte sie dafür beglückwünschen. Im Wissen darum, dass Schwule über die sie nicht betreffenden Themenbereiche gerne rasch hinwegblättern. Denke aber, dass es sich in dieser Erfahrung um eine solche auf Gegenseitigkeit handelt. Nicht nachvollziehen kann ich, auf die Rolle von Marcel de Groot, als dem Geschäftsführer der Schwulenberatung Berlin mit einer rein affektbestimmten, ressentimentgeladenen Kritik zu reagieren, indem man ihm zum Feindbild erklärt und der Schwulenberatung einen Platz außerhalb der Community zuweist. Was keiner sauberen objektiven Berichterstattung entspricht, sondern den Bedingungen des Meinungsjournalismus, der jeden gegenseitigen Respekt und die persönliche Contenance vermissen lässt, wie sie mir als Tunte obliegt, die sich mit anderen gemeinsam solchen mühsam erarbeiten musste. Um gleichfalls zuweilen übers Ziel hinauszuschießen. Weshalb ich davon ausgehe, das sich das wieder einrenken wird, nach dem Motto: Kein Feuer ohne Rauch. Weil sich im Rahmen einer solchen Schlacht Rauch und Pulverdampf verziehen müssen, um wieder über den notwendigen Durchblick zu verfügen.
Zwei Begegnungen der jüngsten Zeit lassen mich darauf hoffen, dass es sich in dem ewigen Zwist von Lesben und Schwulen um ein Relikt der Vergangenheit handelt und wir in Aussicht auf die Generation nach uns auf einen Wandel hoffen dürfen. Im auf ZEITonline nachzulesenden Gespräch mit der jungen bewundernswerten lesbischen Rapperin SOOKIE ist es gelungen, mir bewusst zu machen, es in ihr mit einer Persönlichkeit zu tun zu haben, die mir als Angehörigem einer Generation von in die Jahre gekommenen Schwulen ohne Ressentiments und Vorbehalte begegnet, wie es auch umgekehrt der Fall war. Um selbstbewusst ihre Ansichten zu vertreten, ohne dass ich mich davon beeinträchtigt erfahren muss. Ich habe sehr viel Respekt für Menschen wie sie und habe erfahren dürfen, dass dies auf Gegenseitigkeit beruht. Und im Kontakt mit dem Bundesvorsitzenden der Jusos Kevin Kühnert, im Rahmen des Gesprächskreises Anders Altern der Schwulenberatung Berlin ist mir bewusst geworden, es in ihm mit einem Angehörigen einer Generation von schwulen Männern zu tun zu haben, denen Berührungsängste mit anderen Gruppen der Queeren Community absolut fremd sind.
Deshalb werde ich nicht aufhöre, für ein Projekt zu trommeln, von dem ich hoffe, dass es Zukunft haben wird, in Gestalt des E2H also Elberskirchen-Hirschfeld-Haus, als gemeinsamem queeren Kulturprojekt, in das alle Gruppen der Community gleichberechtigt untergebracht sein sollen. Und ich hoffe, dass sich das auch auf die Frage künftiger Wohnprojekte übertragen lassen wird. Solange lesbische Frauen meinen, darauf angewiesen zu sein, über einen eigenen Schutzraum im Alter zu verfügen, sollen sie in der Lage sein, dies zu verwirklichen. In Gestalt eines Hauses für sie allein. Genauso selbstverständlich sollte es sein, dass der Lebensort Vielfal älteren, vom § 175 betroffenen Schwulen ein Umfeld schafft, in Gestalt eines sicheren Hafens im Alter. Und Ort der Begegnung, Kommunikation und Auseinadersetzung. Worin ich keinen Gegensatz erkennen kann.
Weshalb es jetzt an der Politik ist, in Gestalt des rot/rot/grünen Senats Berlins, die Weichen im Sinne der Frauen von RuT zu stellen, um die unselige Konkurrenz von Lesben und Schwulen zu beenden, in Gestalt eines Grundstücks für ihr Hausprojekt. Als Entsprechung und Pendant zu einem künftigen Lebensort Vielfalt am Südkreuz. Um in ihn alle Gruppen der Community miteinzubeziehen – wenn sie wollen.
Was die Politik nicht der Aufgabe enthebt, vor dem Hintergrund des demographischen gesellschaftlichen Wandels auch dem Anspruch anderer gesellschaftlichen Gruppen zu genügen. Im Rahmen Berlins als Single-Hauptstadt. Und zwar unabhängig von ihrer jeweiligen sexuellen Orientierung. Was die ganze Sache erst wirklich rund machen würde.