Aus Anlass des 70. Geburtstags seines Mitbegründers Wolfgang Theis hat das Schwule Museum Berlin im 33. Jahr seiner Gründung für den 31. August und 1. September d. J. zum Symposium eingeladen. Den ersten Nachmittag musste ich leider aus privaten Gründen versäumen, doch spätestens am 2. Tag war es dann soweit, Wolfgang nicht nur auf der Internetseite der Siegessäule zu beglückwünschen, sondern ihm auch persönlich die Hand zu drücken. In Erinnerung an 35 aufregende, gemeinsame WG-Jahre in der Friedenauer Moselstr. 1. Zusammen mit Egmont Fassbinder, Jürgen Vetter, Wolfgangs Lebensgefährten, u. a.
Zum Auftakt der Veranstaltung wurde Wolfgang von SMU-Vorstandsfrau Dr. Birgit Bosold mit der von ihr als „steile These“ apostrophierten Äußerung zitiert, es in der neuen Schwulenbewegung seit Anfang der 1970iger Jahre mit der unmittelbaren Folge der feministischen Frauenbewegung zu tun zu haben. Und in uns Schwulen sozusagen mit den Kriegsgewinnlern der von Frauen gegen unsere patriarchalen gesellschaftlichen Strukturen entfesselten Krieges.
Der schwule Aktivist und Magnus-Hirschfeld-Biograph Manfred Herzer (ebenfalls Mitbegründer des SMU) hat die Aufgabe übernommen, den Gegenbeweis dafür zu erbringen. Sein Themenbereich: „Vergangenheit und Zukunft schwuler Institutionen“. Weil er es verstanden hat, den Eindruck des entspannten Umgangs von Lesben und Schwulen miteinander zu vermitteln, musste er unweigerlich auf Widerspruch stoßen. Was mit daran beteiligt war, dass einige Teilnehmer_innen sich gefallen haben, sich an diesem Thema festzubeißen. Weshalb der Bereich „Zukunft“ bezogen auf schwule Institutionen eine eher stiefmütterliche Behandlung erfahren hat. Dank gegenteiliger, Manfred widersprechender Erinnerung daran, dass sich in der HAW organisierte lesbische Frauen, nicht grundlos, wenngleich ohne viel Aufhebens wieder verabschiedet haben. Im überwiegend stillschweigend vollzogenen Rückzug aus dem männlichen Blickwinkel. Weshalb sie eines Tages einfach nicht mehr präsent waren.
Ihr Entschluss zur Gründung des LAZ (Lesbisches Aktions Zentrum) spricht eine andere Sprache und lässt darauf schließen, sich unter uns Männern damals nicht heimisch gefühlt zu haben. Anders lässt es sich nicht erklären, sich gefallen zu haben, einen eigenen Weg einzuschlagen, als überwiegend an der feministischen Frauenbewegung orientierte Lesben, die sich anfangs als schwule und homosexuelle Frauen bezeichneten, um sich erst später als lesbisch zu definieren. Die in der HAW mit dem Bild des vor allem auf sich selbst bezogenen schwulen Mannes konfrontiert waren. Der es sich im Extremfall gefallen lassen musste, sich – nach dem Motto: „Mann ist Mann!“ – als Schwanzträger beschimpfen zu lassen. Wie beispielsweise der New Yorker schwule Künstler Andy Warhol durch die extrem-feministische Valery Solanas, im Rahmen des von ihr verübten Pistolen-Attentats auf ihn.
Wahr ist aber auch, dass es sich damals – aufgrund differierender Interessen – anbot, sich als Schwule und Lesben zu separieren, um unsere jeweils spezifischen Probleme auf die Reihe zu kriegen. Vor dem Hintergrund der Notwendigkeit, erstmal die eigenen Belange zu klären und Sicht von uns selbst. Weil lesbische Frauen für den schwulen Mann als solche nicht von Interesse waren und umgekehrt. Vergleichbares dürfte sich wohl auch auf die Frauen übertragen lassen. Deren Interesse sich u.a. auf die Klärung des Problems erstreckt haben dürfte, wie es ihnen als verheiratete Mütter wohl gelingen soll, ihre lesbische Orientierung mit der Notwendigkeit in Einklang zu bringen, zu vermeiden, das Sorgerecht für ihre Kinder zu verlieren. Was möglicherweise Ausschlaggebend war, für ihre überwiegend Orientierung an den eigenen Belangen, während Männer dazu neigen, zielgerichtete und erfolgsorientierte Strategien zu entwickeln, wie beispielsweise im Fall der Gründung des SVD, als zunächst nur an Schwulen orientierter Lobby.
Während Frauen heute, Jahrzehnte später, trotz digital bedingter Nivellierung des biologischen Unterschieds zwischen Mann und Frau in der Arbeitswelt, vor der scheinbar unlösbaren Aufgabe zu stehen, das Rätsel zu lösen, warum Frauen nach wie vor immer noch weniger Geld verdienen, als der Mann. Als nicht alleinigem, aber wesentlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern, der den Fortbestand der gesellschaftlichen Benachteiligung von Frauen sichtbar macht.
Manfred Herzers Verdienst besteht trotz getrübter Erinnerung unbestreitbar darin, Schwule mit seiner wissenschaflich-publizistischen Tätigkeit den Blick geöffnet zu haben, für Frauen und Männer, die im Rahmen der Schwulen- und Lesbenbewegung der Vergangenheit eine wegweisende Arbeit geleistet haben. Wie beispielsweise Karl Heinrich Ulrichs im 19. Jahrhundert – im Hinblick auf sein Outing im Rahmen eines Juristentages. Oder im Fall Magnus Hirschfelds, dessen 150. Geburtstag wir in diesem Jahr feiern. Dessen Theorie des „Dritten Geschlechts“ sich in einem jetzt beschlossenen Dritten Gechlechtseintrag niederschlägt, um neben der Möglichkeit zum männlichen und weiblichen Selbstbekenntnis auch die Möglichkeit zur Abweichung davon vorzusehen, durch einen diversen Geschlechtsbezugs. Während sein im Berliner Tiergartenviertel angesiedeltes Institut 1933 der nationalsozialistischen Machtergreifung zum Opfer fiel, bleibt die Erinnerung an seine Verdienste und gute Zusammenarbeit mit Johanna Elberskirchen bestehen, die ebenfalls Früchte tragen soll.
Wenn sich Manfred Herzer qua Erinnerung auf seinen ab Mitte der 1970iger Jahre vollzogenen Wechsel von der HAW in die AHA bezieht, dann unter Hinweis auf das für ihn dafür maßgebliche sogenannte Luftballonplenum in der HAW. Allerdings unter Aussparung des Hinweises darauf, es dabei mit dem Ergebnis des damals tobenden Tuntenstreits zu tun zu haben. Mit dessen Hilfe es feministisch orientieren Tunten ab 1973 gelungen ist, ihren Widerstand gegen patriarchale Strukturen innerhalb der HAW zum Ausdruck zu bringen. Verbunden mit der Forderung nach Einführung des Rosa Winkel, als gemeinsamem Erkennungszeichen, um damit den Grundstein dafür zu legen, dass es Lesben und Schwulen in den folgenden Jahren gelungen ist, mit der Sichtbarmachung ihrer jeweiligen sexuellen Orientierung und Lebensweise auf entscheidende Weise zu einem spürbaren gesellschaftlichen Wandel der Einstellung uns gegenüber beizutragen. Gipfelnd in der zentralen Forderung des 1. Berliner CSD im Juni 1979 „Mach dein Schwulsein öffentlich!“ Während lesbische Frauen damals in gleich hoher Anzahl mit der Forderung unterwegs waren: „Lesben erhebt euch und die Welt erlebt euch!“
Mindestens so wesentlich für das Selbstbewusstsein schwuler Männer war – neben dem sogenannten Weiberaufstand im SDS 1968 – unsere am 1. September 1969 mit der Reform des § 175 vollzogene Entkriminalisierung. Ganz zu schweigen vom Aufstand von Transpeople, Dragqueens, Lesben und Schwulen im Stonewall Inn in der New Yorker Christopher Street im Juni 1969.
Meiner Erfahrung nach basiert der Erfolg der queeren Bewegung der vergangenen 50 Jahre nicht auf einem, sondern einer Vielzahl von Ereignissen. Unter denen das über die Jahre hin gewachsene historische und politischen Bewusstsein von Lesben und Schwulen vor dem Hintergrund der AIDS-Krise der 1980er Jahre eine wesentliche Rolle spielen dürfte. Vor dem Hintergrund der Gefahr, HIV-Infizierte Menschen in Quarantänelagern zu internieren und gesellschaftlich zu separieren.
Dirk Ludigs (Schwuler Aktivist und Journalist) ist es im Verein mit der lesbischen Aktivistin und Publizistin Ulrike Janz gelungen, sichtbar zu machen, dass die Bereitschaft zur Zusammenarbeit von Lesben und Schwulen eher als marginal nachvollziehbar ist und im Rahmen der lesbisch/schwulen Publizistik so gut wie keine Rolle spielte. Mit Ausnahme des Radioprojekts Eldoradio in den 1990er Jahren. An dem neben Ludigs selbst u. a. Manuela Kay maßgeblich beteiligt war. Der es inzwischen gemeinsam mit ihrer Partnerin Gudrun Fertig gelungen ist, das traditionell schwule Stadtmagazin Siegessäule einer Transformation zum queeren Stadtmagazin zu unterziehen. Um damit die gesamte Bandbreite der queeren Community abzubilden und ihrer Interessen, einschließlich der von Lesben, Bisexuellen, Trans* , sowie People of Color.
Dr. Birgit Bosold ist seit 2006 Vorstandsfrau im Schwulen Museum (SMU) und gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen, einschließlich des Gründers Wolfgang Theis an der Öffnung des SMU auch für andere als ausschließlich schwule Belange beteiligt. Gipfelnd in dem 2018 ausgerufenen Jahr der Frau_en.
Anlässlich des 30. CSD 2008, also vor zehn Jahren, überwog auf Seiten lesbischer Frauen noch der Eindruck, es im CSD mit einem reinen Männerding zu tun zu haben. Zur Pressekonferenz aus Anlass des 40. CSD in diesem Jahr ist ausschließlich eine Frauen-Riege des CSD e. V. angetreten, um damit auf beeindruckende Weise ein Zeichen zu setzen.
Dem entspricht nicht zuletzt auch die Bereitschaft überwiegend solche Projekte zu unterstützen, die der gesamten Bandbreite der queeren Community entsprechen. Wie im Fall von Naomi Noah Donaths und Henry Böttchers spektakulärem Filmprojekt „Loud Pride – Quiet Riot“ zum Thema 40 Jahre CSD. Oder das Theaterprojekt AUFBEGEHREN, das sich durch einen gelungenen Rückblick auf 40 Jahre Queere Community auszeichnet und durch die überdurchschnittlich gute Zusammenarbeit seiner lesbischen, bisexuellen und schwulen Protagonist_innen.
Aus nostalgischen und traditionellen Gründen kann ich nachvollziehen, dass Manfreds Herz, wie geschehen, trotz aller fortschrittlichen Tendenzen des SMU – für das traditionelle Schwule Museum schlägt. Während ich mich vor allem für das im Enstehen begriffene Elberskirchen-Hirschfeld-Haus erwärme, als queerem Projekt, an dem alle Gruppen der Community beteiligt sind. Als Ort künftiger queerer kultureller und wissenschaftlicher Forschungsarbeit. Um den Focus unserer Aufmerksamkeit u. a. auf die Ergebnisse einer amerikanischen Studie zu lenken, die davon ausgeht, das wir als Queers gegenüber Heterosexuellen offenbar über eine um zwölf Jahre geringere Lebenserwartung verfügen. Wovon in Chris Izgins gemeinsam mit Volker Woltersdorf alias Lore Gonorrhö absolviertem Vortrag die Rede war. Während sich Letztere_r mit der Frage befasste: „Glaubt noch wer, dass Sex politisch ist?“
Meine Antwort darauf lautet: Ja! Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass schwule Jugendliche in weit höherem Maß als heterosexuelle Gleichaltrige dazu neigen, ihre prekäre und scheinbar aussichtslose Situationdas zum Anlass zu nehmen, sich viel zu früh mittels an sich selbst vollzogenen Suizids vom Leben zu verabschieden. Wenn sie nicht das Schicksal derjenigen Jugendlichen teilen, deren Eltern das Bekenntnis ihrer Kinder zu sich selbst zum Anlass nehmen, sie als Teenager oder noch jünger, bereits im Alter von neun Jahren, wie im Fall eines kalifornischen Jungen, aus homophoben Beweggründen zu Tode zu prügeln.
P.S. Das Foto von Wolfgang als Sally Bowles aus dem Film Cabaret, ist als Schnappschuss anlässlich eines Fests in der Moselstraßen-WG dem Fotografen Rolf Fischer zu verdanken.