Ziel der Teilnehmer am Schwulen Literatur Salon Berlin war am Sonntag, den 19. August 2018, der Ortsteil Wust der Gemeinde Fischbeck im Landkreis Stendal in Sachsen-Anhalt. Von Berlin aus in zwei Autostunden erreichbar. Gemeinsam war uns das von Michael Roes‘ Roman „Zeithain“ geweckte Interesse am Schicksal eines jungen sächsisch-anhaltinischen Adeligen: Hans-Herrmann von Katte (1704 – 1730). Mitglied einer Familie, die im Elbe-Havel-Bereich ihre Wurzeln hat.
Das vor Ort zu besichtigende Herrenhaus der Familie befindet sich in seinem gegenwärtigen Zustand in guter Verfassung, entspricht in dieser Form aber nicht demjenigen, in dem der junge Hans-Hermann von Katte seinerzeit aufgewachsen ist. Dessen Familie erst unter der Ägide des Vaters Hans-Heinrich von Katte den Aufschwung nahm, den sie gemäß seiner Stellung als ostpreußischer Gouverneur und Statthalter des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. in Königsberg einnahm; zu der er durch den preußischen Monarchen auserkoren war. Um damit nicht nur zur Mehrung dessen Ruhmes, sondern vor allem zu der des eigenen Wohlstands beizutragen.
Im Rückblick darauf scheint seine Auslassung trotz allem übertrieben, sich im Rahmen einer Reise nach Königsberg, nach dem Aufbruch in Wust und seiner Ankunft dort, überwiegend auf eigenem Grund und Boden voranbewegt zu haben. Verbürgt ist dagegen, dass der preußische Herrscher, dem er diente, in ihm über einen hervorragenden Repräsentanten verfügte. Im Unterschied zu dem unser Fahrer, mit dem am Steuer wir unterwegs waren, in der Lage war, anschaulich zu machen, uns auf derselben Straße zu bewegen, die als Reichsstraße 1 in die Geschichte einging, weil sie zwei bedeutende Krönungsresidenzen miteinander verbindet, nämlich Königsberg in Ostpreußen mit Aachen im Westen.
Trotz vom Navi verschuldeten, unsere Ankunft um eine halbe Stunde verzögernden Umwegs, sind wir schließlich doch noch an unserem Ziel angelangt – vor der imposanten Backsein-Kulisse der Fassade der Kirche zu Wust (an der Straße der Romanik) – unmittelbar gegenüber dem ockerfarben gestrichenen Herrenhaus der von Kattes gelegen. Empfangen von einer äußerst beredten und mit Witz begabten Führerin, in Gestalt der ortsansässigen Gemeindechronistin, die auf die Verspätung mit Gelassenheit reagierte und dank uns erwartenden nächsten Termins bereit war, die Führung im Zeitraffermodus, also Schnelldurchlauf zu vollziehen.
Trotzdem hat sie uns alles wissenswerte vermittelt, einschließlich des Hinweises darauf, sich so auch Fontanes Wanderungen durch die Mark, im dem Oderland gewidmeten Band 2 wiederzufinden. Dessen 200. Geburtstag wir im nächsten Jahr feiern dürfen. Der wiederum seine Kenntnisse einem persönlichen Aufenthalt vor Ort, also aus erster Quelle verdankt, als Ergebnis seines persönlichen Aufenthalts im Herrenhaus der Kattes zu Wust. Wo er seinerzeit Station machte. Unter lebhafter Anteilnahme am Schicksal des sächsisch-anhaltinischen Adelsgeschlechts. Das unter Hans-Heinrich von Katte seine größte Blüte erleben durfte.
Gleichwohl ist davon auszugehen, es nicht in ihm, sondern in seinem Sohn Hans-Hermann mit dem bekanntesten Mitglied seiner Familie zu tun zu haben. Dessen den seines Vaters überflügelnder Bekanntheitsgrad in der Tragik seines früh vollendeten Lebens besteht. Gipfelnd im gewaltsamen Tod von ihm mittels Enthauptung durch das Schwert im Alter von 26 Jahren. Als Ergebnis seiner engen Verstrickung und innigen Beziehung und Freundschaft mit dem acht Jahre jüngeren, damals gerade 18jährigen preußischen Kronprinzen Friedrich. Besser bekannt als Friedrich II. Genannt der Große oder auch „Alte Fritz“. Als Ausdruck und Grad seiner volkstümlichen Beliebtheit. Weil seiner Herrschaft Preußen erst seine wahre Größe und Bedeutung verdankt, die es in unserer Erinnerung daran genießt. Dank Aufstiegs zur bedeutenden Militärmacht im Herzen Europas. Auf einer Ebene mit Frankreich, Russland und Großbritannien.
Vor dem Hintergrund des Schicksals von dem beide – der Prinz und sein Gefährte – gleichermaßen betroffen waren. Aber nur Hans-Hermann von Katte war es vorbehalten, mit dem Leben dafür zu bezahlen. Trotz Patts des Gerichtsurteils in seinem Fall und Stimmengleichheit zwischen der Möglichkeit lebenslanger Festungshaft und dem Tod durch das Schwert. Weshalb die Auffassung des preußischen Königs den Ausschlag dafür gab. Sich dessen bewusst, dass Fritz nach seiner Machtübernahme nicht zögern würde, den Freund. im Fall lebenslanger Festungshaft, daraus zu entlassen. Nicht dem als Soldatenkönig apostrophierten Vater des Kronprinzen, also Friedrich Wilhelm I., sondern dessen in seinen Augen missratener Sohn Fritz hat es schließlich verstanden, die preußische Armee nach seiner Thronbesteigung auf Vordermann zu bringen. Um sich der Unterstützung keines geringeren als Hans-Heinrich von Kattes, seines Zeichens preußischer Feldmarschall, zu versichern. Der sich mit Fritz Vater zuvor einig war, in der Beurteilung ihrer beider Söhne, als faulen Äpfeln an ihrem Stamm.
Weshalb wir davon ausgehen dürfen, es in beiden Vätern mit den schärfsten Kritikern ihrer missratenen Söhne zu tun zu haben. Als der Voraussetzung zur Besiegelung deren Schicksals. Vor dem Hintergrund eines unüberbrückbaren Vater-Sohn-Konflikts. Wie er sich nicht zuletzt zwischen dem preußischen Monarchen und seinem Sohn Fritz abspielte, an dem den Vater alles zum Widerspruch reizte. Insbesondere seine Vorliebe für die Literatur, die Philosophie und Musik, einschließlich des Flötenspiels. Womit er seinem Vater den Eindruck eines Bruder Leichtfuß vermittelte, dem es ungeachtet seiner Jugend gelungen war, bereits eine bedeutende Schuldenlast anzuhäufen – zur Finanzierung seiner umfangreichen Bibliothek und seines in den Augen des Vaters lockeren Lebenswandels. Was jenem, dank überwiegend militärischer Prägung, als suspekt erschien und ihn zum heftigen Widerspruch reizte. Gipfelnd in der Anklage des Hochverrats. Von der beide junge Männer – Fritz und Hans-Hermann – gleichermaßen betroffen waren. Mit dem Unterschied, dass Katte nicht davor zu bewahren war, sich mit den Folgen davon konfrontiert zu erfahren, in Gestalt eines zwar ehrenvollen, aber gleichwohl militärischen Todes in Gestalt seiner Hinrichtung mittels Schwert.
Er, der seinem jungen Gefährten, in Gestalt des preußischen Kronprinzen Fritz nicht nur aufgrund seiner Persönlichkeit, sondern auch seiner Weltläufigkeit als bewundernswert erschien. Die Kattes frühen Aufenthalten in Paris, London und Königsberg zu verdanken war. Was ihn zum engen Gefährten und Berater des Prinzen prädestinierte. Auch und gerade als es sich darum handelte, sich weiteren gewaltsamen Übergriffen des Vaters durch Flucht zu entziehen. Ausschlaggebend dafür war die Erfahrung eines sächsisch/preußischen Militärmannövers in der an der Elbe gelegenen Ortschaft „Zeithain“. Titel des gleichnamigen, Michael Roes zu verdankenden, 2017 in einem Umfang von mehr als 800 Seiten erschienen Romans. Der schildert, wie sehr dem sächsischen Monarchen August d. Starke (König in Polen) daran gelegen war, dem preußischen Herrscher Friedrich Wilhelm I. nicht nur mit seiner weit überlegenen Militärmacht zu imponieren, sondern auch mit dem seinen auszubeutenden Silberminen zu verdankendem Reichtum.
„Zeithain“ beschreibt auch den Höhepunkt des Eklats zwischen Vater und Sohn. Weil der Vater einen geringfügigen Fauxpas des Sohnes zum Anlass nahm, ihm vor versammelter Hofgesellschaft seine väterliche Autorität zu demonstrieren. Was diese zum Anlass nahm, ihm in den Arm zu fallen, um den Vater daran zu hindern, den Sohn totzuprügeln. Dessen Hass auf den Vater sich als offene Wunde bemerkbar machen sollte, die sich nicht so rasch wieder schließen wollte. Gipfelnd in der Bereitschaft des Kronprinzen, mit Hans-Hermann von Katte gemeinsam, Fluchtpläne zu schmieden. Die Ironie und Tragik für diesen besteht darin, sich vergeblich darum bemüht zu haben, Fritz davon abzubringen, um ungeachtet dessen mit dem Leben dafür zu bezahlen. Weil er als Angehöriger der preußischen Kürassiere und Gendarmerie unmittelbar dem König unterstellt, diesem also zu besonderen Loyalität verpflichtet war. Durch ihn darum auch in die Pflicht genommen. Mit für den Betroffenen lebensbedrohlichen Folgen.
Gipfelnd in der mit Fritz geteilten Festungshaft in Küstrin. Wo ihm der Freund und Gefährte, beim Abschied, mit dem Ausdruck denkbar größten Bedauerns begegnet sein soll: „Verzeih, mein Freund!“ Worauf Katte erwidert haben soll: „Sir, da gibt es nichts zu verzeihen!“
Ein Artikel in der Magdeburger „Volksstimme“ charakterisiert beider Freundschaft folgendermaßen: „Die beiden Männer verband die Liebe zum Querflötenspiel und zur Literatur und sie feierten gern auch ausgelassene Feste“. Was einer weitverbreiteten gängigen Auffassung entspricht, aber nicht den Kern ihrer Beziehung trifft. Abgesehen von der Pikanterie der Vorliebe für das Flötenspiel.
Die Zerrissenheit des Vaters im Hinblick auf den Sohn und Thronfolger bestand u. a. auch im Anspruch, Preußen als Militärmacht zu etablieren, und im gleichzeitigen Dilemma der geringen Wirtschaftskraft eines Landes, dessen Bevölkerung in ihrer überwiegenden Zahl aus leibeigenen Bauern und verarmtem Landadel bestand, der darauf angewiesen war, seine Einkünfte zum überwiegenden Teil aus dem Militärdienst zu beziehen.
Seine eigentliche Bedeutung hat Preußen jedoch erst unter der Herrschaft Friedrichs d. Gr. gewonnen, dank seiner Bereitschaft und Fähigkeit zum militärischen Einsatz, mit dessen Hilfe ihm bemerkenswerte Landzugewinne gelungen sind. Mit der Provinz Schlesien im Osten, dem Kaiserreich Österreich-Ungarn in einem sieben Jahre währenden Krieg abgerungen, während sich die Eroberungen im Westen bis ins Rheinland erstreckten. Mindestens so wichtig wie der militärische Erfolg war ein dem Alten Fritz zu verdankender geistig/kultureller Aufschwung, entsprechend der von ihm unter französischem Einfluss geprägten Vorstellung: „Jeder soll nach seiner eigenen Fasson selig werden!“ Und seiner geistigen und intellektuellen Beweglichkeit und Offenheit, und der für ihn charakteristischen Weitsicht. Vor dem Hintergrund des nie verwundenen Verlusts des Gefährten seiner frühen Jahre. Als einer der Wurzeln der ihm später nachgesagten Misogynie.
An den Jugendfreund Katte erinnert dagegen nur wenig. Lediglich eine Tafel an den Mauern der früheren Festung Küstrin im heutigen Polen. Und ein schmaler, seine sterblichen Überreste bergender Holzsarg, eingebettet in einen Marmorsarkophag, den man nach seiner in den 1980er Jahren vollzogenen Öffnung nicht wieder geschlossen hat. Im Unterschied zu den prunkvollen Marmorsärgen des Restes der Familie der Kattes. Die unübersehbar konträr zum schlichten Holzsarg Hans-Herrmanns angeordnet sind, um ihn als den Verfemten kenntlich zu machen und ihre Distanz zu ihm zum Ausdruck zu bringen.
Die Ironie im Hinblick auf die Kattes besteht nicht zuletzt auch darin, dass einer ihrer Nachfahren das gesamte Erbe verspielt und aufgrund seiner Spielsucht unter den Hammer gebracht hat. Während einem anderen, bekannt als der „Stiefelkatte“ sein Fetisch zum Verhängnis geworden ist. Dem seine Umgebung den Zustand geistiger „Idiotie“ bescheinigt hat.
Alles in allem handelt es sich in unserer Exkursion um einen bemerkenswerten Abstecher in Preußens Vergangenheit und Geschichte. Gekrönt vom anschließenden Aufenthalt in Tangermünde. Wo Tanger und Elbe sich verbinden. Eine Stadt, die auf den ersten Blick durch ihren festungsartigen Charakter besticht, malerisch an der Elbe gelegen und auffällig durch ihr architektonisches Gepräge, als Sitz Kaiser Karls IV. , der sich Tangermündes im 12. Jhdt. als Residenz bediente. Der Traum zum Aufstieg zur Reichshauptstadt hat sich dagegen nie verwirklichen lassen.
Trotzdem lohnt sich der Besuch. Wenn auch nur wegen des herausragenden Geschmacks von ihrem Chef persönlich kreierter Eissorten eines dem Hotel zum Schwarzen Adler benachbarten Eiscafés, das ebenfalls einen nachhaltigen Eindruck auf uns hinterlassen hat.