Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber … Querverlag Berlin, 2018, 190 S. €14,90

Vielen Dank Johannes Kram für den wunderbaren Abend im Tipi am Kanzleramt, den alle Anwesenden dir verdanken. Im Rahmen der Vorstellung deines großartigen, erhellenden Buches zum Thema Homophobie. Jetzt bei Eisenherz in der Schöneberger Motzstraße 24 und überall sonst im Handel, dessen Anschaffung ich nur empfehlen kann.

Nicht nur Romy Haag war als Grande Dame da – mich an den Abend mit Conchita im vergangenen November in der Berliner Philharmonie erinnernd, und ihren Tribut an Romy, vor einem absolut begeisterten Publikum. Als Romys Anblick dazu angetan war, mir bewusst zu machen und zu vergegenwärtigen, welche Wegstrecke nicht nur hinter ihr liegt, seit ihrer Ankunft in Berlin, sondern uns allen, die wir uns ihr, dank gemeinsamer Generation, verwandt fühlen dürfen.

Was mich dazu bewegt, mich tief vor ihr zu verneigen, weil sie etwas verkörpert, das in dieser Form bei ihrer Ankunft hier, nur in der noch eingemauerten Stadt West-Berlin möglich war. Wirksam, als Bedürfnis, tief durchzuatmen, die Ärmel aufzukrempeln und zuzupacken. Ein bisschen an die Kraft und den Elan der Trümmerfrauen im Nachkriegs-Berlin erinnernd, jedoch ohne den ihnen eigentümlichen Mief, wie wir ihn Ende der 1960iger Jahre, in einer Zeit des Aufbruchs und der unbegrenzten Möglichkeiten, in den damaligen Wilmersdorfer Witwen verkörpert sahen. Und in dem ihnen anhaftenden   unseligen Geist der 12 Jahre Nazi-Herrschaft, vor dem Hintergrund der insbesondere aber nicht nur für uns, als schwule Männer nachvollziehbaren Erfahrung, dass das Dritte Reich für uns noch nicht zu Ende war.

Warum hatte der unselige, von uns allen als Schande empfundene § 175 soviel Macht, um die Jahrzehnte zu überdauern und heute immer noch in unserem Bewusstsein verankert zu sein? Weil er der Auffassung einer Mehrheitsgesellschaft entsprach und immer noch entspricht, als Schwule nichts anderes verdient zu haben.

Woran auch der  Johannes Kram zu verdankende Abend  im Tipi erinnert, am 11. April dieses Jahres, aus Anlass der Vorstellung seines Buche. Wozu er nicht nur prominente Gäste zu sich auf die Bühne eingeladen hat, sondern auch ein zahlreiches Publikum im Saal. Männer und Frauen jeden Alters, die einen besonderen Augenblick erleben durften: Volker Beck im Gespräch mit dem TAZ-Journalisten und ESC-Experten Jan Feddersen.

In der von ihm vorgelegten Publikation bringt Johannes zum Ausdruck, welcher Skandal mit Volker Becks Namen und Person verbunden ist. Um  sich damit jedoch nicht auf die paar Gramm verbotene Substanz zu beziehen, die man bei ihm entdeckt hat, sondern die Demontage einer politischen Person und ihres Lebens. Einer, der  im Verlauf der vergangenen 30 Jahre vieles, vor allem aber die Sache der Queeren Community nach vorne brachte, um die er sich absolut verdient gemacht hat. Womit er allen, einschließlich  der eigenen Partei in den drei Jahrzehnten seines politischen Wirkens auf die Nerven ging, aber auch jenen, die dankbar waren, über eine Gelegenheit zu verfügen, ihn loszuwerden. Mithilfe der ihm in den Medien unterstellten moralinsauren Attitüde dessen, dem bloß daran gelegen ist, andere niederzumachen. Was ihnen jetzt als Rechtfertigung  diente, ihn abzuservieren.  Um in ein dunkles Loch zu fallen, ehe es schließlich soweit war, Phönix gleich aus der verbrannten Asche zu steigen und Feuer, durch das einer in einem solchen Fall  hindurch muss, um sich schließlich – wie im Fall Volker Becks – mit einem überraschenden Aplomb auf der politischen Bühne zurückzumelden und schließlich von ihr zu verabschieden. Mit dem ihm zu verdankenden Gesetz der Ehe für alle in der Tasche, als seinem Meisterstück. Mit dem er der Kanzlerin die Erfahrung beschert hat, dass das Gesetz nicht aufzuhalten war. Was sie – von Volker Beck als kluge Frau apostrophiert – zum Anlass nahm, beiseitezutreten, um zu vermeiden, davon überrollt zu werden.

Die Standing Ovations für Volker Beck entsprachen ihrem Charakter nach einem Akt der Wiedergutmachung an ihm, der nicht nur politischen Freunden und Gegnern, sondern auch manchen Schwulen mit der Unerbittlichkeit der für ihn charakteristischen Energie und Beharrlichkeit auf die Nerven ging. Und jetzt davon ausgehen darf, sein politisches Lebenswerk vom Gesetz der Ehe für alle gekrönt zu erfahren. Was Johannes Kram zum Anlass nimmt, uns bewusst zu machen, wieviel Homophobie mit Volker Becks Ausscheiden aus dem Bundestag im vergangenen Herbst mit im Spiel war.

Großartige Menschen waren aus Anlass von Johannes Buchpräsentation unterm Dach des Tipi auf dessen Bühne versammelt. Nur einen Steinwurf weit vom Kanzleramt im Berliner Spreebogen entfernt.  Ein ganz besonderer Ort, den wir Holger Klotzbach verdanken, einem Urgestein der schwulen Emanzipationsbewegung seit den 1970iger Jahren.

Der Abend ist nicht vollständig, ohne an Stephanie Kuhnens Gespräch mit der jungen Journalistin Jule Löffler zu erinnern, die sich sowohl als heterosexuell als auch queer definiert, was ihrer Auffassung nach zusammenpasst. Kuhnen, Autorin des Buches „Lesben raus!“ aus demselben Verlag, in dem auch Johannes Publikation erschienen ist, wünscht sich als Frau und Lesbe stärker einbezogen und sichtbar zu sein. Davon ausgehend, dass ein Thema wie das der Homophobie überwiegend unter schwulen Vorzeichen abgehandelt wird, ohne Rücksicht darauf, dass alle als Teil der Queeren Community, davon betroffen sind. Was sich im Verhältnis der Mehrheitsgesellschaft allen gegenüber niederschlägt, als Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* und Inter, darum: LSBTIQ.  Um alle zu berücksichtigen, die im Begriff Queer allein nicht immer präsent sind. Auch wenn der Buchstabensalat manchem, auch mir, auf die Nerven geht.

Im Wissen darum, dass sich das Wohlwollen uns gegenüber oft des Schilds der Toleranz bedient, um damit den Mangel an Akzeptanz zu kaschieren, die Wolfgang Lauinger, Opfer des §175 vermisst hat. Bei seinem Tod mit annähernd 100 Jahren nicht rehabilitiert.  Weil das Gesetz zur Wiedergutmachung der Opfer des § 175 eine Lücke aufweist. Denen gegenüber, die beispielsweise von monatelanger Untersuchungshaft betroffen waren, aber nicht verurteilt. Was Volker Beck als Teil des der CDU/CSU zu verdankenden Kompromisses mit ihrem Koalitionspartner SPD beschreibt. Und als Ausdruck einer besonderen Infamie – den Betroffenen gegenüber. Als infam ist auch die Charakterisierung des SPD-Justiz- und jetzigen Außenministers Heiko Maas durch einen prominenten Politiker der Linkspartei, Dieter Dehm, nachvollziehbar, der ihn als „Nazi-Strichjungen“ apostrophiert. Was einer speziellen Form der Homophobie entspricht.

Wie sie Johannes im Hinblick auf unseren besonderen deutschen Humor konstatiert, als bis in linksliberale Kreise hinein wirksame Form  davon. Wovon zahlreiche, von  Matthias Freihof und Pierre Sanoussi Bliss vorgetragenen Textauszüge handeln, die alle in dieser Hinsicht  über eine absolut erhellende Wirkung verfügen.

Eingebettet war der Abend in einen Rahmen unterschiedlicher Formen queeren Entertainments,  als  Höhepunkt von ihm. Den Eindruck der ganzen Bandbreite queerer Ausdrucksformen vermittelnd.  Wie im Fall des Auftritts zweier schwuler Tenöre und ihres Vortrags einer Johannes Kram (gemeinsam mit seinem musikalischen Partner Florian, als Komponisten) zu verdankenden Operette.

Im Rahmenprogramm waren neben  Romy Haag auch zwei junge Entertainer aus den Niederlanden zu bewundern, die ebenso überzeugten, wie ein deutscher Travestiestar mit seinem beeindruckenden Vortrag. Ein wunderbares Beispiel für queeres Entertainment bot auch der Auftritt eines bekannten schwulen Musicalstars mit einem Song aus dem Musicalfilm „Cabaret“. Allen den Eindruck vermittelnd, die ganze Vielfalt queeren Entertainments zu verkörpern, dessen Präsenz im Tipi wir dem Kulturmanager Johannes Kram verdanken. Der vor Jahren Guildo Horn, als dessen Manager, die Teilnahme am ESC ermöglicht hat. Was deutlich macht, es in Johannes nicht nur mit dem schwulen Nollendorf-Blogger, Buchautor, Kritiker und Publizisten zu tun zu haben, der den Finger in eine Wunde legt,  sondern auch mit einem musischen Menschen, dem es gelingt, das ganze Spektrum dessen abzudecken, was queeres Leben ausmacht – zwischen Trier und Berlin.

 

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