Lesbisch/Schwule Querelen in Berlins Community

Oder ist es nicht an der Zeit, uns nach aller Kritik und notwendigen Auseinandersetzung, im Sinne gemeinsamer Interessen, von überkommenen Vorurteilen zu verabschieden?

Vor dem Hintergrund eines kaum noch überschaubaren Buchstabensalats  – von LGBTI/  LSBTI/LGBTIQ – mit oder ohne Sternchen – besteht bei mir die Tendenz zur Rückkehr zu  einfachen, überschaubaren Begrifflichkeiten, wie sie vor vierzig Jahren noch an der Tagesordnung waren, als Schwule noch nicht darauf angewiesen waren, sich mit Kritik an ihrer Rolle als schwule, weiße cis-Männer zu befassen, unabhängig davon, was dies beinhaltet und besagt.

Von vielen von uns als überwiegend akademische, weil praxisferne Auseinandersetzung nachvollziehbar, weshalb sich mir „Queer“ dafür anbietet, damit an der in den vergangenen Jahrzehnten gewachsene „Vielfalt“ der „Community“ anzuknüpfen, die noch am ehesten meiner Vorstellung von Gemeinschaft entspricht. Als Ergebnis aller notwendigen Auseinandersetzung und Kritik innerhalb der eigenen Reihen, vor dem Hintergrund, dass Tunten vor vierzig Jahren mit dem Kampfruf „Kampf! Kritik! Und Umgestaltung!“ in West-Berlin unterwegs waren, als Speerspitze der Bewegung, im Rahmen ihres Widerstands gegen ihre  durch nichts zu rechtfertigende gesellschaftliche Ausgrenzung, wie sie sich auch innerhalb der eigenen Reihen – beispielsweise beim Tuntenstreit der HAW 1973 – widerspiegelte. Als Auftakt zum Niedergang ihrem Niedergang  und der Ablösung der sozialistisch geprägten Vorstellung von der Unterdrückung Schwuler als „Nebenwiderspruch im Klassenkampf“, als damals  herrschende Doktrin. Abgelöst vom Befreiungsakt der 1977 vollzogenen Gründung des SchwuZ. Durch jene, denen es mit der Etablierung des Begriffs „Schwul“ gelungen ist, sich von der Praxis schwulen Selbsthasses zu verabschieden und an ihrem schwulen Stolz und gewachsenen Selbstbewusstsein anzuknüpfen. Im Abschied vom Bewusstsein derjenigen, auf die sich Martin Dannecker in seiner 1973 publizierten Schrift als „Der gewöhnliche Homosexuelle“ bezog, als einem Teil von uns allen, die damals zu neuen Ufern unterwegs waren. Vor dem Hintergrund des Abschieds vom  Selbstverständnis als Homophile oder Verzauberte. Denen gegenüber uns der Begriff Schwul als Abgrenzung davon diente und Waffe, im Sinne der geballten Faust im Auge des Unterdrückers.

Vergleichbar dem der Tunte oder Schwuchtel, den Betroffene sich gefallen lassen mussten, davon stigmatisiert, um im Rahmen der Subkultur nur unter ferner liefen zu rangieren, also die zweite Geige zu spielen. Ehe sie soweit waren, mit dem Vorschlag zur Einführung des Rosa Winkel als gemeinsamem Emblem und Erkennungszeichen Abhilfe davon zu schaffen. Mit dem Ergebnis, uns trotz krachender Niederlage im Plenum der HAW ermöglicht zu haben, uns diesen nicht nur als Feministen ans Revers zu heften. Als Ergebnis der streitbaren Auseinandersetzung darum. Vor dem Hintergrund der Erfahrung, dass SchwuZ und LAZ  (Lesbisches Aktions Zentrum) Ende der 1970iger Jahre in der Kulmerstraße 20a im dritten Hinterhof, unter einem Dach untergebracht waren. Allerdings ohne inhaltliche Verbindung  oder organisatorischen Zusammenhang.

Weshalb  sich die Frage nach dem Anteil lesbischer Frauen an der Vorbereitung des ersten Berliner CSD im Juni 1979 von selbst beantwortet. Auch anhand folgenden Zitats unseres Flugblattaufrufs  nachvollziehbar, von Schwulen, die den Aufruf dazu an alle adressierten, die dafür infrage kamen, also auch Lesben: Wir hoffen …, dass sehr viele Lesben da sein werden, auch wenn unsere Leben sich nicht oft berühren und ihr deshalb euren eigenen Aufruf schreiben müsst“

Obwohl beide, Schwule und Lesben, sich überwiegend über das Prinzip friedlicher Koexistenz und des gegenseitigen Ausschlusses definierten, hat es sich dann doch auf quasi natürliche Weise ergeben, dass beim ersten Berliner CSD im Juni 1979 beide gleichermaßen, und das in überraschend ausgewogenem, einander nicht ausgrenzenden Verhältnis vertreten waren. Was für uns damals mit einem Gefühl spürbarer Erleichterung verbunden war. Vor dem Hintergrund immer wieder aufflackernder Auseinandersetzung darum, von wem die Initiative zum Aufstand in der Christopher Street ausging. Unabhängig davon, dass Tunten, Schwule und Lesben gleichermaßen daran beteiligt waren. Im Fall von Schwulen aber die Tendenz besteht, das qua Dominanz zu vereinnahmen. Anstatt alle als natürliche Verbündete innerhalb der  Subkultur und potenzielle Ansprechpartner in Betracht zu ziehen. Wesentlich war für uns damals, als Organisatoren, den 10. Jahrestag des Aufstands im Stonewall Inn in  der Christopher Street in Greenwich Village zum Anlass zu nehmen, diesen auch in Berlin nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, wie es in den zehn Jahren zuvor der Fall war, in deren Verlauf wir überwiegend von uns selbst und unseren Querelen in Anspruch genommen waren. Die Gremien des LAZ oder SchwuZ damit zu befassen, würde die Sache nur kompliziert und verzögert haben, also haben wir uns auf unsere eigene Initiative verlassen. Ohne damals auch nur ansatzweise zu ahnen, damit eine Tradition zu begründen.

Wenn bei der 30. Wiederkehr des CSD 2008 bei  Lesben noch die Einstellung überwog, es dabei mit einem reinen Männerding zu tun zu haben, scheint sich deren Einstellung dazu mittlerweile verändert zu haben. Durch die zunehmende Teilnahme einer jüngeren Generation von Lesben. Während Ältere unter ihnen jahrzehntelang vom Bedürfnis eines eigenen, nur Lesben vorbehalten Schutzraumes bestimmt waren und  ablehnten, sich u.a. an der Initiative zu beteiligen, das Forum des CSD e.V. dafür zu gewinnen, die Situation älterer Lesben und Schwuler zu seinem Thema zu machen.

Trotz unmittelbarer Zusammenarbeit im Rahmen von BALSAM, als dem „Berliner Arbeitskreis lesbischer und schwuler alter Menschen“. Oder im Rahmen einer  gemeinsam mit einer Mitarbeiterin der Lesbenberatung kuratierten Fotoausstellung mit Bildern vom ersten CSD, einer lesbischen Fotografin – Anke Rixa Hansen genannt Vedant (in den Räumen der Lesbenberatung) und des schwulen Fotografen Rolf Fischer (m Café Flip-Flop im Vorderhaus der Kulmerstraße 20a). Trotz meines Einsatzes bei Planung, Finanzierung und Organisation war meine Teilnahme an der Vernissage in der Lesbenberatung selbstverständlich weder gefragt noch erwünscht. Und ich bin sicher, dass keine der beteiligten Frauen auch nur ansatzweise daran gedacht hat, die Fotos des schwulen Fotografen in Augenschein zu nehmen. Was damals selbstverständlicher Konsens und Bestandteil unseres Bewusstseins  war.

Vorausgesetzt, die Wahrnehmung stimmt, dass sich das inzwischen, zehn Jahre später, vor dem Hintergrund des 40. CSD in diesem Jahr, verändert hat, dürfte dies nicht zuletzt in der selbstverständlichen Mitarbeit lesbischer Frauen in früher klassisch schwulen Projekten begründet sein. Wie im CSD e.V. Auch lesbische Vorstandsfrauen im Schwulen Museum Berlin haben dort inzwischen für Aufsehen gesorgt. Und auch im Hinblick auf das SchwuZ ist davon auszugehen, dort eine Rolle zu spielen. Was es auch im Fall der  schwulen Bastion Schwulenberatung Berlin zutrifft, in deren Mitarbeiterinnenstab inzwischen auch Frauen vertreten sind. Seit sich  das Projekt davon verabschiedet hat, ihre Aufmerksamkeit ausschließlich ihrer klassisch schwulen Klientel zu widmen. Weil auch Transmenschen die Beratungsdienste der SB  inzwischen in Anspruch nehmen. Entsprechend dem Credo des vor sechs Jahren eröffneten Lebensort Vielfalt, im Rahmen der queeren Community Berlins alle einzubeziehen und niemanden auszuschließen.

Trotzdem sind wir immer gleichzeitig mit Verwerfungen konfrontiert. Die Patsy L’Amour La Love dazu dienten, sich in ihrer vor einem Jahr erschienen Streitschrift Beißreflexe darauf zu beziehen und damit eine lebhafte Diskussion  zu entfachen.

Während die von lesbischen Vorstandsfrauen im Schwulen Museum kuratierte Ausstellung Homo_Sexualitäten im Deutschen Historischen Museum, Schwule zur Kritik an ihrer nicht ausreichenden Berücksichtigung veranlasst hat. Die jetzt, nach Ausrufung des Jahres der Frau im Schwulen Museum und die Einrichtung einer Dyke Bar befürchten, bald keine Rolle mehr zu spielen. Als Ergebnis der sich abzeichnenden lesbischen „Machtübernahme“ und  beürchteten  Umbenennung in SchwuLesbisches Museum Berlin. Auflösungstendenzen sind anhand eines offenbar neuen  Logos bereits absehbar.

Nachdem Lesben mehrfach beklagten im  Bewusstsein und Geschichtsbild von Schwulen keine Rolle zu spielen, als Ausdruck ihres Anspruchs auf ihr Alleinstellungsmerkmal im Hinblick auf ihren Opferstatus, erhebt die prominente lesbische Autorin Stephanie Kuhnen in ihrer Publikation Lesben raus! die Forderung nach einem Anteil am gemeinsamen Kuchen. Und die nach  größerer Sichtbarkeit lesbischer Lebensentwüfe. Als Gegengewicht und Kritik an der schwulen Dominanz innerhalb der Community.

Und Transmenschen befürchten nach der Rehabilitation schwuler Opfer des § 175 und der Vollendung des Gesetzes der Ehe für alle, auch keine Rolle mehr zu spielen. Ohne zu berücksichtigen, wie weit wir immer noch davon entfernt sind, die gesellschaftliche Gleichstellung und Akzeptanz queerer Lebensentwürfe zu verwirklichen. Und wie tief homophobe Tendenzen immer noch in unserer Gesellschaft, bis hinein in linksliberale Kreise verankert sind. Ein Thema, das dem schwulen Blogger und Autor Johannes Kram dazu dient, in seinem gerade erschienen Band „Ich habe nichts gegen Schwule, aber…“ den Finger in diese Wunde zu legen.

Auch die gegenwärtige Auseinandersetzung um ein Grundstück im Bereich des Südkreuz, auf der sogenannten Schöneberger Linse, lässt darauf schließen, dass zwischen Lesben und Schwulen längst nicht alles geritzt und in trockenen Tüchern ist. Weil sich sowohl das Lesbenprojekt RuT als auch die Schwulenberatung um das fragliche Grundstück beworben haben. Was sich zur Zeit überwiegend auf der Ebene der Konkurrenz beider Projekte zueinander abspielt. Selbst queere Medien, wie die Siegessäule machen nicht davor halt, dies zu unterstreichen. Und versäumen, darauf aufmerksam zu machen, dass die politisch Verantwortlichen im Rahmen des von ihnen erdachten Auswahlverfahrens wesentlich dazu beigetragen haben, dass der Eindruck besteht, das Schwule und Lesben sich darum streiten und in den Haaren liegen. Weil die Schwulenberatung zweifelhafte Auswahlkriterien zum Anlass nahm, ihre juristische Überprüfung zu veranlassen. Und sich darum jetzt die Rolle des Buhmannes gefallen lassen muss.

Fakt ist, dass die Politik versäumt hat, zum Ausdruck zu bringen, dass – nach dem Lebensort Vielfalt – jetzt die Lesben am Zug sind. Was sie mit einem irreführenden zweijährigen, zeitraubenden und kostenaufwendigen Auswahlverfahren kaschiert. Zum Nachteil aller Beteiligten.

Richtig ist, dass der Anspruch von RuT voll gerechtfertigt ist. Wahr ist aber auch, dass sich in der  Schwulenberatung seit Eröffnung des Lebensort Vielfalt vor sechs Jahren der berechtigte Eindruck verfestigt hat, es in dieser Einrichtung, gemessen am tatsächlichen Bedarf in der Community, nur mit einem Tropfen auf den heißen Stein zu tun zu haben.

Die Konsequenz aus dem verfehlten, jetzt zu wiederholenden Auswahlverfahren sollte nicht darin bestehen, einander gegenseitig an den Pranger zu stellen, sondern darauf aufmerksam zu machen, dass der Anspruch beider vermeintlichen Kontrahenten auf das Projekt gerechtfertigt ist.

Die Forderungen der Queeren Community müsste also darin bestehen, sich für beide Projekte starkzumachen. Weil sie sich ergänzen und nicht gegenseitig ausschließen. Die Konsequenz daraus sollte also nicht in der Konkurrenz beider Projekte zueinander bestehen, sondern – als Quintessenz – im Bewusstsein der Notwendigkeit gipfeln, dass sich queere Interessen nur miteinander und nicht gegeneinander verwirklichen lassen. Nämlich dann, wenn alle Beteiligten gemeinsam an einem Strang ziehen. Wenigstens nach außen hin. Was uns nicht davon abhalten muss, uns innerhalb der Community zu fetzen und in notwendigen Auseinandersetzungen darüber zu verständigen, was Not tut und jeweils angesagt ist. Was erfahrungsgemäß immer hilfreich ist, und genauso notwendig, wie ein reinigendes Gewitter. Auch wenn es manchmal lästig und aufreibend ist. Wie beispielsweise im Fall der Auseinandersetzung um den Berliner CSD vor  einigen Jahren.

 

 

 

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