Tribut an Touko Valio Laaksonen (8.05.1920 – 7.11.1991) alias: Tom of Finland

„Mein Schwules Auge. Tom of Finland Foundation Special.“ Zweisprachige Ausgabe, englisch/deutsch. Hrsg. Rinaldo Hopf und Axel Schock. 2018. 400 S. , 19,90 € Konkursbuch Verlag Tübingen. Jetzt im Handel.

Nach der 1969 im Deutschen Bundestag verabschiedeten Reform de §175 StGB, als der Aufhebung des Verbots sexueller Kontakte unter erwachsenen Männern, herrschte  vielfach die Auffassung, als Homosexuelle, und das nahezu ohne eigenes Zutun, alles erreicht zu haben, was es zu erreichen gab. In Wahrheit war damit aber bloß der Anfang gemacht. Trotzdem herrschte selbst unter Linken Anfang der 1980iger Jahre, beispielsweise bei Gründung der „Alternativen Liste“ in Berlin (Vorläuferorganisation von Bündnis 90/Grüne) die Auffassung, gut beraten zu sein, uns damit zu begnügen. Weil weiterreichende Forderungen (beispielsweise nach ersatzloser Streichung des immer noch die gesellschaftliche Ungleichheit unterstreichenden § 175 und gesellschaftliche Akzeptanz anstelle der uns entgegengebrachten Toleranz) das Maß der Geduld mit uns überstiegen. Nach dem Motto: Reicht man euch einen Finger, verlangt es euch gleich nach der ganzen Hand. Worauf auch der Sprecher der Gruppe Schwuler in der „Alternativen Liste“ Berlin, bei ihrer Gründungsveranstaltung in der „Neuen Welt“ 1982 in der Neuköllner Hasenheide, Klaus Lucas, damals aufmerksam gemacht hat. Angekündigt als Sprecher des Bereichs Schule, weil das Wort Schwule dem Moderator am Mikrofon damals nicht über die Lippen wollte.

Erst heute, im Rückblick darauf, nach Verabschiedung des Gesetzes zur „Ehe für alle“ im vergangenen Jahr 2017, als einem Zeitraum von annähernd 50 Jahren, wird deutlich, welche Wegstrecke inzwischen hinter uns liegt, als Queere Community und lässt ahnen, welche Durststrecke wir noch vor uns haben. Weil unsere Ziel der vollständigen gesellschaftlichen Gleichstellung von LSBTI* längst nicht auf zufriedenstellende Weise verwirklicht ist. Was auch auf absehbare Zeit so bleiben wird. Weshalb es noch viel zu tun gibt, als Generationenaufgabe.

Eine wesentliche Voraussetzung dafür, uns als Schwule und Lesben, Ende der 1960iger Jahre auf Trab zu bringen, bestand in der Erfahrung des Widerstands von Tunten und Lesben gegen ihre Unterdrückung, Ausgrenzung und Polizeiwillkür, im Rahmen eines im Sommer 1969 adhoc vom Zaun gebrochenen Widerstandsakts und Aufstands in der New Yorker Christopher Street, und der gemeinsamen Besetzung der Bar Stonewall Inn in Greenwich Village, mit weltweiter Signalwirkung.  Welch innerer Zusammenhang damals zur Trauer um die am Vorabend verschiedene Judy Garland bestand, ist nur zu ahnen.

Fest steht, dass  in Berlin  trotz der Rosa von Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers …“ zu verdankenden Initialzündung und Gründung zahlreicher schwuler Aktionsgruppen, zehn Jahre vergehen mussten, in denen wir überwiegend mit uns selbst und unseren Querelen beschäftigt waren, ehe daran zu denken war, an der mit Stonewall verbundenen Idee und Praxis des aktiven Widerstands anzuknüpfen, und mit dem ersten Berliner CSD am letzten Sonnabend im Juni 1979 eine damals nicht absehbare Tradition zu begründen, die sich seitdem bewährt hat. Um neben seitdem erkämpften Errungenschaften mit dem wiederkehrenden CSD der gesamten queeren Community zu ermöglichen, ein Zeichen zu setzen, um damit zur Sichtbarmachung der jeweils beteiligten Gruppen beizutragen, als der Voraussetzung zur notwendigen gesellschaftlichen Aufmerksamkeit.

1969 war aber auch das Jahr meiner  Begegnung mit einem jungen Studenten an der Berliner PH, im Alter von Anfang zwanzig Jahren, Ulli, als meinem damaligen Lover und demjenigen, mit dem ich gemeinsam eine Ladenwohnung in der Schöneberger Yorck- /Ecke Bülowstraße teilte.  Wenige Schritte vom späteren „Risiko“ entfernt, dem Treffpunkt der Punkszene West-Berlins, die sich die Klinke dort in die Hand geben sollte. Unter ihnen beispielsweise Blixa Bargeld von den „Einstürzenden Neubauten“ und Wolfgang Müller, Mitglied der Band „Die tödliche Doris“.

Zum Zeitpunkt der Ereignisse in der Christopher Street in Greenwich Village hatte ich weder eine Ahnung davon, noch wäre ich in der Lage gewesen, mir auch nur ansatzweise auszumalen, welche Folgen für uns alle und mich ganz persönlich damit verbunden sein sollten. 1969 war aber auch das Jahr der Gründung des wenige Schritte von unserer Ladenwohnung entfernten Club 70, einer studentischen Initiative, mit Peter S. an der Spitze, einem Studenten der Theologie, dessen Spezialität damals darin bestand, jeden bei seiner Begegnung mit ihm nicht mittels Handschlag, sondern Griffs zwischen die Beine zu begrüßen, um daran zu ermessen, woran er an ihm war. Als  erstem Schritt und Auftakt zum Beischlafkontakt mit ihm.

Der Club 70 war auch für Ulli und mich als Treffpunkt angesagt, genau wie das Trocadero und KC, und ein Ort der Begegnung mit u. a. Ulf und Gerard, zwei Freunden, deren Souterrainwohnung in der Blumenthalstraße um die Ecke bequem zu Fuß erreichbar war, mit der Folge regelmäßiger Kontakte mit ihnen, sowie  Ullis Geständnis, sich rettungslos in Gerard verliebt zu haben: jung, schüchtern, hinreißend schön und künstlerisch begabt, dem ich  kaum das Wasser zu reichen in der Lage war.

Gipfelnd in einem mit dessen Partner Ulf gemeinsam absolvierten Aufenthalt in Hennys  S-Bahn-Quelle, in einer Passage am Charlottenburger Savignyplatz. Als Treffpunkt von Schwulen in West-Berlin – unabhängig von ihrer jeweiligen sexuellen Vorliebe. Unter ihnen nicht nur brave angepasste Schwule, wie ich, oder exaltiert anmutende Tunten, sondern auch jener scharfe Typ in schwerer Ledermontur und glänzend polierten Stiefelschäften, bekannt dafür, bloß darauf zu warten, einen dafür zu gewinnen, sich mit ihm zusammen auf seine vor der Kneipe geparkte Maschine zu schwingen und auf ihr zur gemeinsamen Spritztour abzudüsen. Seine Aufmerksamkeit für mich, ihn  anhimmelnd, hielt sich jedoch in Grenzen, freundlich distanziert, aber nicht abschätzig oder erniedrigend. Während ich davon träumte, mich vor ihm auf die Knie niederzulassen, um nicht nur seine Stiefel mit meinen Lippen zu berühren, sie also zu küssen, sondern ihn mit dem Mund zu befriedigen. Beim Kontakt mit ihm, beim Pissen auf dem Klo, im Blick an ihm hinab, darauf aufmerksam, dass er keine Schwierigkeiten hatte, den Beweis dafür anzutreten in der Lage zu sein und alle Voraussetzungen zu erfüllen, mit jenen sagenhaften Toms gleichzuziehen, als den Reißbrettentwürfen und Kopfgeburten ihres finnischen Meisters, und  Alptraum jedes braven Knaben im Rahmen von ihm praktizierter Selbstbefriedigungsmaßnahmen. Lauter Rittern von der traurigen Gestalt, mit Schnauzbart und treu/feuchtem Hundeblick, denen ihre jeweiligen Treffpunkte als Widerstandsnester dienten, im  Kampf und Widerstand gegen Windmühlenflügel und die Diktatur der Normalität über sie, als Gemeinschaft warmer Brüder. Als unmittelbarem Bestandteil meiner sowohl erotisch als auch politisch gefärbten und bestimmten Phantasie.

Im Kontakt mit ihm, auf dem Klo, beim Pissen, darüber verblüfft, mit dem Hinweis darauf aufzuwarten: „Sorry, tut mir echt leid für dich, dass das mit uns beiden nicht klappt. Weil du einfach nicht mein Typ bist. Aber mach dir halt einfach nichts daraus. Schließlich ist ja bloß diese verdammte Geilheit schuld daran. Stimmts? Oder habe ich vielleicht nicht recht damit?“ Erstmals derart unmittelbar aber vergeblich mit dem Verlangen konfrontiert und vom Gefühl des Bedauerns bestimmt, mich nicht unmittelbar in diesen Stromkreislauf nicht abreißender Geilheit, einbezogen zu erfahren, wie ich ihn in ihm verkörpert sah. Unterm Eindruck, dass es  genügt, die entsprechenden Knöpfe zu drücken, wie ich es mir gewünscht haben würde.

1969 war aber auch das Jahr, an dem ich abends beim Aufenthalts in der Quise, als der volkstümlichen Bezeichnung für die S-Bahn-Quelle, damit konfrontiert war, dass dort kurz nach Mitternacht die Tür aufging und – nach einem Gastspiel von ihm an der auch von mir regelmäßig frequentierten Deutschen Oper in der Bismarckstraße – Rudolf Nurejew samt Entourage in ihrem Rahmen erschien, um alle Gespräche abrupt verstummen zu lassen. Ohne dass zu diesem Zeitpunkt absehbar war, dass Gerard nicht erspart bleiben würde, sich am Frühstückstisch der gemeinsamen Souterrainwohnung  mit Rudolf Nurejews Anblick konfrontiert zu erfahren, als Ulfs Schlafgast, denen beiden anzumerken war, die hinter ihnen liegende Nacht überwiegend schlaflos verbracht zu haben. Dass der Haussegen zwischen ihnen  für einige Wochen schief hing, war normal, also nachvollziehbar, genau wie Ulfs Bedürfnis danach, mich mit einem raschen, zwischen Tür und Angel vollzogenen Quickie zu konfrontieren, als seiner Antwort darauf, dass Gerard nicht darauf ansprechbar war und Rudolf inzwischen wieder in anderen  Welgegendent unterwegs, als Lover von ihm, für die Dauer einer Nacht.

Ehe es im Sommer 1972 zwischen Ulli und mir soweit war, uns von einander zu verabschieden,  waren wir beide  noch gemeinsam an der Aufführung von Rosa von Praunheims aufsehenerregendem Film beteiligt, anlässlich dessen Premiere im Kino Arsenal in der Welserstraße, im Rahmen bei der  Berlinale im Frühsommer 1971.  Um uns gemeinsam in die im Foyer ausliegende Namensliste derjenigen einzutragen, von denen im Herbst des gleichen Jahres die Initiative zur Homosexuellen Aktion West-Berlin ausging. Als Auftakt meiner Metamorphose vom Landei zum schwulen Aktivisten in Berlin. Gipfelnd im 1973 tobenden Tuntenstreit, als dem Auftakt zur Einführung des vom Plenum der HAW mehrheitlich abgelehnten Rosa Winkel, als Abzeichen schwuler KZ-Häftlinge und künftigen Erkennungszeichen von uns. Mit dem nicht nur Feministen in der HAW unterwegs waren. Um damit zum Niedergang der in sich gespaltenen Organisation beizutragen und ihrer Wiedergeburt im – nach der AHA – im Herbst 1977 in der Schöneberger Kulmerstraße 20a im dritten Hinterhof gegründeten SchwuZ, das im vergangenen Oktober 2017 sein vierzigjähriges Jubiläum feierte.

Damals Ort der Begegnung aller, mit denen ich  im Frühsommer 1979  einig war, den zehnten Jahrestag des Aufstands im Stonewall Inn zum Anlass zu nehmen, die Gelegenheit dazu an ihn zu erinnern, auch in Berlin nicht ungenutzt verstreichen zu lassen.  Nachdem die Vorbereitungen dazu in NY bereits voll im Gange waren. Während wir in Berlin immer noch mit dem Experiment alternativer, emanzipierter Lebensformen und sexueller Kontakte beschäftigt waren. Im Abschied von überkommenen Strukturen. Und mit dem Ergebnis spürbarer Gespaltenheit. Nach wie vor von der Aussicht vereinnahmt, uns spätestens nach Einbruch der Dämmerung des Aufenthalts auf Klappen, in nächtlichen Parkanlagen oder in wie Pilze aus der Erde schießenden Darkrooms zu bedienen, um die Sau rauszulassen. Und bei zufälliger Begegnungen miteinander mit dem Gefühl peinlichen Berührtseins zu reagieren.

Während sich avantgardistische Tunten im SchwuZ in der Auseinandersetzung über faschistoide Tendenzen der zunehmend um sich greifenden Lederszene verausgabten. Um sich ungeachtet dessen persönlich  davon zu überzeugen, was es damit auf sich hatte, im Eintauchen in die atemberaubende Atmosphäre unverklemmter, direkter Geilheit wie sie beispielsweise im Darkroom der Knolle in der Wilmersdorfer Bundesallee angesagt war, die der S-Bahn-Quelle inzwischen den Rang abgelaufen hatte.  Romy Haag hat später daran erinnert, dass das Zeitalter der Travestie spätestens mit der Verbreitung der Darkrooms in Berlin besiegelt war. Mangels Resonanz und Nachfrage darauf angewiesen, ihren Club in der Schöneberger Fuggerstraße dichtzumachen.

1977 war aber nicht nur das Jahr der Gründung des SchwuZ in West-Berlin, sondern auch das meines mehrwöchigen Aufenthalts in den Staaten und der 200-Jahr-Feier der USA. Sowie der im Hafen von New York veranstalteten Windjammerparade. Mit Teilnehmern von Hunderten von Nationen, deren Matrosen alle in dieser Nacht in Manhattan unterwegs waren. Unter ihnen auch jener Steward einer kanadischen Fluggesellschaft, dem man nachsagt, das von ihm damals eingefangene Virus ab diesem Zeitpunkt weltweit verbreitet zu haben. Ehe er später als  „Patient Nummer 1“  in die Geschichte eingehen sollte. Sich meinem Bewusstsein damals weitgehend entziehend, im Rahmen des Trips zwischen NY, LA und SF. Um erst fünf Jahre später abrupt meine Aufmerksamkeit zu beanspruchen. In Erinnerung daran, bei meinem Aufenthalt in den Staaten keine Gelegenheit ausgelassen zu haben, um mich im Rückblick darauf, fünf Jahre später mit jener dem HI-Virus nachgesgten Inkubationszeit von fünf Jahren konfrontiert zu erfahren.  Ab 1982 in Alarmstimmung versetzen, vor dem Hintergrund des Gerüchts, dass die sogenannte Schwulenseuche zunehmend um sich griff. Bekannt dafür, vor keinem haltzumachen.

1982 war aber auch das Jahr, in dem sich nicht nur Rainer Werner Fassbinder, als Opfer einer Überdosis, sondern auch mein Freund und Weggefährte  Andreas Pareik , als Opfer eines Autounfalls mit tödlichem Ausgang, für immer verabschiedet hat. Mit dem gemeinsam ich im Frühsommer 1979 mit einem selbstverfassten Flugblattaufruf zum ersten Berliner CSD 1979 wochenlang in der lesbischen und schwulen Subkultur Berlins unterwegs war. Auf Klappen, in Kneipen, Cafés und Bars, sowie nachts im Tiergarten, oder tagsüber auf Deck B des Strandbad Wannsee oder im Bullenwinkel im Grunewald. Um unser Flugblatt allen, nackt oder nicht, in die Hand zu drücken. 1982 war aber auch das Jahr, in dem das Berliner Tropeninstitut am Wittenbergplatz aus allen Nähten platzte, als Ort regelmäßiger, in immer kürzeren Abständen absolvierter AIDS-Tests. Nach seinem Umzug in größere Räume in der Charlottenburger Königin Elisabeth Straße auch von mir mehrfach frequentiert. Unmittelbar den Räumen der Charlottenburger Festsäle benachbart, als einem der Orte eines Ostertreffens des Berliner MSC, dem Verein für die Liebhaber des Motorsports und sogenannten Natursekts. Im Rahmen einer gemeinsamen Dampferfahrt von Hunderten von Lederschwulen auf dem Tegeler See mit einem jungen Dänen aus Kopenhagen in Kontakt, ohne zum Zeitpunkt meiner Begegnung mit ihm zu ahnen, es in ihm mit einem von Hand zu Hand weitergereichten „Wanderpokal“ zu tun zu haben. Als  weiterem Anstoß zu  panisch und in immer kürzeren Abständen absolvierten AIDS-Tests. Vor dem Hintergrund der Erinnerung daran, mich rettungslos in ihn verliebt zu haben, in dessen Fall ich aber nicht sicher sein konnte, mich nicht doch infiziert zu haben.

Rosa von Praunheim ist nicht nur mit seinem 1973 bundesweit in der ARD ausgestrahlten und umstrittenen Schwulenfilm gelungen, Aufsehen zu erregen und  in die Schlagzeilen zu geraten, sondern auch  mit seinem Mitte der 1980iger Jahre im Nachrichten-Magazin Spiegel veröffentlichten Aufruf zum Verzicht auf ungeschützte sexuelle Kontakte, als einer Leben sichernden Maßnahme. Safer Sex war angesagt. Und die Bereitschaft gefragt, als Schwule, egal ob in Lack oder Leder, im Rahmen zu gründender AIDS-Hilfen an unserer verschütteten sozialen Ader anzuknüpfen und uns nochmal neu zu erfinden. Martin Danneckers Clinch mit und Kritik an ihm, war für mich damals nicht nachvollziehbar. Dessen 1973 veröffentlichter Band „Der gewöhnliche Homosexuelle“  die Funktion einer Bibel für uns erfüllte, woran sich seitdem nichts verändert hat.

1975 war nicht nur das Jahr eines Ferienaufenthalts auf Mallorca, sondern auch das der  ersten Begegnung mit einem jener auf schlechtem Papier gedruckten und schlampig gelumbekten Magazine, die den Eindruck vermittelten, es in ihnen mit dem Zentralorgan der Liebhaber ausgefallener sexueller Praktiken zu tun zu haben. Womit die Aufmerksamkeit für Tom of Finlands sagenhafte Typen damals vorprogrammiert war. Danach hat mich die Vorliebe und Aufmerksamkeit dafür nicht wieder verlassen. Erstmals an einem Kiosk auf dem Marktplatz der Kleinstadt Soller auf Mallorca darauf aufmerksam, über eine nicht einzudämmende Anziehungskraft auf mich zu verfügen, der zu erliegen es mich verlangte. Im Griff feuchter, schwitziger Hände nach jenem Heft, dessen Anblick genügt hatte, um mit spürbar beschleunigtem Puls und Herzschlag darauf zu reagieren. Einer mir seitdem vertrauten Erfahrung. Wie sie sich auch später noch bewähren sollte, vor dem Hintergrund des unvermeidlichen Abschieds von zahlreichen engen Freunden und Weggefährten, die alle inzwischen in ihrer überwiegenden Zahl im Alten St. Matthäus Kirchhof in der Schöneberger Großgörschenstraße über einen Ort der Erinnerung an sie verfügen. Mit eigenem (schwulen) Friedhofscafé und S-Bahn-Gleisanschluss.

Die Zeit ist seitdem nicht spurlos an mir vorübergegangen, und mit ihr hat sich auch der Umgang mit Toms geilen Typen relativiert. Weil er nicht mehr unmittelbar Bestandteil meiner Überlebensstrategie ist. Und weil die inzwischen, innerhalb eines Zeitraums von Jahrzehnten vollzogene Kanonisierung und Heiligsprechung der Person des inzwischen anerkannten Künstlers Tom of Finland mit dazu beigetragen hat, mich seinen ikonisierten Protagonisten entfremdet zu haben.  Als Ergebnis des verdienstvollen, weltweiten Einsatzes der 1977 gegründeten Tom of Finland Foundation und Durk Dehners, als ihrem Mitbegründer und Präsidenten, unermüdlichem Einsatz, der sich über die Jahre hin ausgezahlt hat. In wunderbar aufgemachten aber schwer zu händelnden prachtvollen  Coffeetable-Buchausgaben des umtriebigen, weltweit agierenden Kölner Taschen-Verlag. Sowie Toms dem dänischen Künstlerpaar Elmgreen&Dragset  zu verdankenden Präsenz bei der Biennale in Venedig (2009), im New Yorker MOMA und anderen Museen der Welt, samt eigenen Dufts, Briefmarkensatz der finnischen Post und als Schnapsmarke. Was alles dazu beigetragen haben mag, mich von seinen geilen Kerlen in ihrer ursprünglichen Funktion, als meine Phantasie beflügelnde Wichsvorlage, entfernt zu haben. Mir spürbar entrückt.

Was sich aber durchaus ändern könnte, vor dem Hintergrund der jetzt erschienenen englisch/deutschen, also zweisprachigen Doppelausgabe von „Mein schwules Auge“, die ihrem Charakter nach alle notwendigen Voraussetzungen einer Volksausgabe im klassischen Sinn erfüllt. Die mir ermöglicht, meine Einstellung zu ihrem Gegenstand einer Revision zu unterziehen. Vor dem Hintergrund der im Schwulen Museum Berlin von Wolfgang Theis bereits 1994 kuratierten Werkschau Toms. Wo inzwischen unter  lesbischen Vorstandsfrauen offenbar der Ruf kursiert: „Schluss mit Tom of Finland“, mit dem sie seinen Ausschluss von ihrer „Homosexuali_täten“- Ausstellung im Deutschen Historischen Museum begründeten, um die Erinnerung an die Bedeutung des CSD für uns alle gleich mit abzuräumen. Zwar namentlich erwähnt, aber im Kontext mit Hunderten unterschiedlicher Dildos, die die gesamte, dem CSD gewidmete Wand einnahmen, als einzigem Bezug dazu. Was mir in dieser Form als unzureichend erschien. Um damit weder dem CSD gerecht zu werden, noch der Bedeutung des Dildo im Leben von Schwulen und nicht nur ihnen. Inzwischen ist mit der Einläutung des Jahres der Frau im Schwulen Museum eine Diskussion entfacht, als solche um den das Bild des SchwuMu bestimmenden schwulen, weißen cis-Mannes. Um damit die notwendige, überfällige Sichtbarmachung lesbischer Lebensentwürfe zu rechtfertigen. Einer eher akademischen Diskussion ohne praktische Unterfütterung. Die aber vielleicht dazu verhilft, das Bewusstsein zu stärken, dass Erfolge nur gemeinschaftlich – als LSBTI*-Community – zu erreichen sind und nicht gegeneinander.

Auf jeden Fall ist die pralle, sinnliche, hunderte von Künstlern und Autoren präsentierende, Tom of Finland gewidmete Ausgabe von „Mein Schwules Auge“ die denkbar beste Voraussetzung, um eine Renaissance meiner Einstellung zu ihrem Gegenstand einzuleiten. Um damit nicht nur meiner Schaulust zu genügen, sondern mir auch als Kopfnahrung zu dienen. Ohne den Fokus auf Tom reduziert zu erfahren, sondern auch dessen zahlreichen Epigonen einzubeziehen, unter denen es einige zu eigener Meisterschaft gebracht haben. Wie Rex beispielsweise oder der Künstler Etienne, um mich nur auf sie zu beziehen. Auch der Comic-Künstler und Erfinder der Knollennasen Ralf König gibt Auskunft darüber, welche Anregungen er TOM verdankt. Berührt haben mich Rainer Hörmanns kluger Beitrag über seine persönlichen Erfahrungen im Umgang mit TOM, als Autor und Publizist. Sowie Kevin Clarkes Überblick über die „Angst vorm Riesenschwanz“ Und nicht zuletzt Durk Dehners Erinnerung an TOM, als persönlichem Freund, und sein Hinweis auf dessen Bedeutung für die Akzeptanz schwul/sexueller Lebensweisen mittels des künstlerischen Stilmittels der Übertreibung. Um mich damit nur auf einen schmalen Ausschnitt des insgesamt, mit seinen 400 Seiten recht umfangreichen Bands zu beziehen.

Auch dem Foto eines unbekannten, anonymen Fotografen bin ich in der Ausgabe wiederbegegnet, mit der ich vor vierzig Jahren bereits in einem Fan-Magazin konfrontiert war, auf dem ein junger Mann, nackt in einem Baum zu besichtigen ist, dessen Physiognomie auffällig an die des jungen James Dean erinnert. Mit einem Arm auf einen Ast gestützt, während sich die Finger der Linken um sein sichtbar erigiertes Glied schließen. Damals habe ich das Magazin dummerweiser aus der Hand gegeben. Und zwar auf Nimmerwiedersehen. Im Überschwang der Gefühle habe ich mich jetzt dazu hinreißen lassen, das Foto auf meiner Facebookseite zu posten. Daraufhin hat es annähernd fünf Stunden gedauert, bis zur Nachricht, damit gegen die Facebook–Richtlinien verstoßen zu haben. Belegt mit einem Postingverbot von 24 Stunden. Trotzdem habe ich es wieder getan. Diesmal mit einem Foto Rudolf Nurejews, nackt, aber ohne Erektion. In diesem Fall hat es nur Sekunden gedauert, um Facebook zu seiner Löschung zu veranlassen und einem Postingverbot von drei Tagen und sechs Stunden. Weil ich offenbar bereits im Fokus der Facebook-Zensurbehörde war, die allem Anschein nach, zur Reinhaltung und Sauberkeit des Netzes, inzwischen die Funktion der früheren Gesellschaft für „Jugendgefährdende Schriften“ übernommen hat, die vor Jahren an einem Verbot eines Ralf-König-Comics beteiligt war, aber inzwischen keine Rolle mehr spielt. Mindestens das Foto Jimmys nackt im Baum, selbstverständlich nicht nur dieses allein, rechtfertigt schon die Anschaffung eines Bandes, den ich allen nur ans Herz legen und wärmstens empfehlen kann, und dessen Herausgebern Rinaldo Hopf und Axel Schock  ich in überschwänglichem Dank verbunden bin.

 

 

2 Gedanken zu “Tribut an Touko Valio Laaksonen (8.05.1920 – 7.11.1991) alias: Tom of Finland

  1. Dankesehr für diesen amüsanten wie lehrreichen Blick zurück in schwule (Leder-)Geschichte und Geschichten … und natürlich auch für die Erwähnung im Zusammenhang mit der jüngsten Ausgabe vom „Schwulen Auge“.

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    1. tolles Stück Geschichtsschreibung! Und habe mich natürlich auch sehr gefreut über die Schilderung der Wirkung des Tom of Finland Foundation Special des schwulen Auges, danke und herzliche Grüße von Claudia

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