Bücher für mehr als eine Saison: Die totbringende Gefahr des Alters oder Schlaganfall im Tomatenbeet.

Matthew Griffin: „Im Versteck“. Roman. 272. S. In der Übersetzung von Joachim Bartholomae, Männerschwarm Verlag Hamburg, 2016

Handelnde Personen: Wendell Wilson (Tierpräparator und Erzähler) Frank Clifton (83, Bachelor in Amerikanischer Geschichte, Arbeiter in einer Baumwollspinnerei und Schlaganfallpatient)

Als Frank im Tomatenbeet einen Schlaganfall erleidet ist sein körperliches Gewicht so schwer, dass Wendell kaum die Kraft hat, ihn auf den Bauch zu wenden. Eine halbseitige Lähmung, Sprachschwierigkeiten und die Gebrechen des Alters genügen, um seinen Lebensgefährten, mit dem Frank seit sechzig Jahren zusammenlebt, erhebliche Probleme zu bereiten. Im Rahmen des gemeinsamen Haushalts ist Frank für die Gartenarbeit, also Versorgung mit Obst und Gemüse, sowie das Putzen zuständig, während Wendell wäscht, kocht, bäckt und sich um die Finanzen kümmert.

Trotz Studienabschlusses und Bachelors in Amerikanischer Geschichte, Ende der 1940 iger Jahre, hat Frank Abstand davon genommen, dies zu einer beruflichen Perspektive und Laufbahn zu machen und vorgezogen seinen Lebensunterhalt in mehr als 35 Jahren als Arbeiter in einer Baumwollspinnerei zu verdienen. Wendell hat damals schon eine Werkstatt als Tierpräparator in einer Kleinstadt des amerikanischen Mittleren Westens, samt Wohnung, und kann davon leben. Beide sind zum Zeitpunkt ihres Kennenlernens Mitte zwanzig.

Sechzig Jahre später, nach Franks Schlaganfall im Tomatenbeet hat es eine Weile gedauert, bis auf der Straße die sich nähernde Sirene des Krankenwagens zu vernehmen ist. Den Sanitätern gegenüber gibt Wendel sie beide, Frank und ihn, als Brüder aus.

Bei ihrer ersten Begegnung Ende es zweiten Weltkriegs war Frank, mit 23 Jahren, gerade von seinem Kriegseinsatz in Europa zurückgekehrt und hat Wendell zuerst im Blick durch das Schaufenster seiner Werkstatt mit wachsendem Interesse wahrgenommen. Wendell beschreibt ihn im Rückblick, als den größten Kerl, der ihm je untergekommen ist. Mit breiten Schultern, ohne Hut auf dem Kopf und Schal um den Hals (im Winter) und mit rauen, geröteten Wangen, dünnen, glatten blonden Haaren und Stirnlocke.

Franks Schlaganfall im Alter von 83 Jahren macht einen Krankenhausaufenthalt erforderlich, als Ergebnis einer halbseitigen Lähmung, Sprach- und Gleichgewichtsstörungen. Dies  hat eine Muskelatrophie zur Folge und macht eine anschließende Reha und Physiotherapie erforderlich. Als er übern Berg ist, zögert Wendell nicht, ihn nach Hause zu holen und sich um seine Pflege zu kümmern.

Im Umgang mit Fremden haben beide während der Jahrzehnte ihres Zusammenlebens zu viel Nähe zueinander vermieden. Nicht umsonst haben sie sich für ein Zusammenleben in ländlicher Umgebung und Einsamkeit entschieden – eine dreiviertel Stunde von der nächstgrößeren Stadt entfernt und anderthalb km Luftlinie zu den nächsten Nachbarn. Nach Franks Reha und Heimkehr fällt es beiden nicht leicht, sich mit der neuen Situation zurechtzufinden. Frank erinnert sich daran, dass er nach seinem Studienabschluss gerne Lehrer geworden wäre. Trotzdem hat er Abstand davon genommen, um das Zusammenleben mit Wendell nicht zu gefährden.

Wendell berichtet, dass der Himmel bei ihrer Begegnung vor 60 Jahren in hellem Rosa leuchtete. Beide schüttelten sich damals kräftig die Hand und schenkten sich ein schönes, breites Lächeln und hatten Angst davor, ohnmächtig zu Boden zu sinken. Während Äste über ihnen ihre Eislast abschüttelten. Ende der vierziger Jahre brauchte es viel Zeit,  bis beide sich  auch körperlich nahegekommen sind.

Seit seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung hat Frank Schwierigkeiten damit, den Löffel voll Suppe zu den Lippen zu führen, ohne seinen Inhalt zu verschütten. Auch für die Gartenarbeit ist er nicht mehr zu gebrauchen. Sechzig Jahre lang haben sich beide immer selbst um alles gekümmert. Handwerker kamen ihnen nicht ins Haus. Die hätten spitzkriegen können, was los mit ihnen ist. Entsprechend schlecht steht es um den baulichen Zustand ihrer bescheidenen Behausung. Wendell erinnert Frank daran, anfangs hektisch Riesenstapel Holz auf dem Hackklotz hinterm Haus zerkleinert zu haben, um ein Feuer damit anzuzünden. Trotzdem hatte er Schwierigkeiten damit, weil das Holz noch zu feucht war, um das Haus im Winter warmzukriegen.

Nach ihrer ersten Begegnung mit Mitte zwanzig hat es zwei quälende Monate gedauert, um sich zum ersten gemeinsamen Ausflug zu entschließen. Frank und Wendell wussten anfangs lange nicht, woran sie aneinander waren. Als ständiger Gast in Wendells Werkstatt hat Frank ihn damals oft bei der Arbeit beobachtet. Dabei sind beide einander dann auch körperlich nahe gekommen. Wobei das Verlangen danach fast schmerzhaft zu spüren war. Vertieft durch einen Aufenthalt im Grünen, um Wendell zu ermöglichen, mit  Franks Tätowierungen aus der Zeit seines Militärdiensts Bekanntschaft zu schließen. In Gestalt von Algen, Aalen, Hummern, silbern schimmernden Fischen auf Bizeps und Oberarmen, die Frank zwingen, auch im Sommer ein Hemd mit langem Arm zu tragen.

Frank erinnert sich an deutsches Gewehrfeuer im Krieg und daran, einem deutschen Kriegsgegner den Schädel eingeschlagen zu haben. Was ihn später darin bestimmt, der Anschaffung eines deutschen Automobils, trotz bester Qualität, zu widerstehen. Was auch im Hinblick auf japanische Importware der Fall ist. Ebenfalls mit den USA im Kriegszustand.

Um Frank an der beschwerlichen, nicht mehr zu bewältigen Gartenarbeit zu hindern, entschließt sich Wendell zur Zerstörung seiner Arbeit von fünf Monaten. Mit der Folge, sich künftig mit Einkäufen auf Bauernmärkten zu versorgen. Franks Zustand erfordert  die Anschaffung von Plastikgeschirr und einer Schnabeltasse. Keine leicht zu verkraftende Erfahrung für Frank, der sich dagegen sträubt. Auch die Anschaffung einer Fernbedienung mit besonders großen Tasten erfordert einen Gewöhnungsprozess. Weshalb er sie anfangs gegen die Wand schmettert.  Und im Bad schafft er es, das Handwaschbecken, weil er sich an ihm festhalten muss, aus der Wandverankerung zu reißen. Stundenlanges Reinigen der Badewanne dient ihm dazu, damit zu kaschieren, wie schwer es ihm fällt, die Wanne zu verlassen, also auf Wendells Unterstützung angewiesen zu sein.

Frank ist sich bewusst, Wendell zur Last zu fallen und macht ihm das Leben nicht leicht. Weil er weiß, keine andere Wahl zu haben, als Wendel die ganze Last des Haushalts zu überlassen. Nicht mal in der Lage, den Müll rauszubringen. Was ihm seine Ohnmacht bewusst macht. Obwohl Frank mit ihrer Nachbarin auf Kriegsfuß steht, klaut er einen von ihr an der Straße zum Abtransport durch die Müllabfuhr, deponierten Staubsauger, weil er sich von ihm Hilfe im Haushalt verspricht. Aber erst Wendell ist in der Lage, verborgene Knöpfe an ihm zu entdecken und ihn funktionstüchtig zu machen. Außerdem ertappt er Frank dabei, vorzugeben, zum Essen zu müde zu sein, weil er den Anblick seiner Hilflosigkeit vermeiden will und sich dagegen sträubt, sich von Wendell füttern zu lassen. Bis der begreift, was los ist, ist bereits ein erheblicher Gewichtsverlust Franks eingetreten.

Als beide einander begegneten, hat Frank seinem Freund den Eindruck eines langen, liebenswerten Lulatschs vermittelt. Keiner von ihnen wusste damals über den anderen Bescheid. Wendell erinnert sich noch lebhaft daran, sein Elternhaus bereits im Alter von vierzehn Jahren verlassen und seitdem keinen Kontakt mit seiner Familie mehr zu haben. Der er damals unterm Eindruck den Rücken kehrte,  nicht ihren Erwartungen zu genügen. Und wusste damals selbst kaum über sich Bescheid. Abgesehen vom Anblick eines Freundes mit nacktem Oberkörper und seinen damit verbundenen Gefühlen. Was Wendell nie vergesse hat. Ebensowenig wie die Zeit der Annäherung an Frank, der ihm bei ihren ersten körperlichen Kontakten den Eindruck vermittelte, wie eine Straße bei Regen zu riechen.

Franks Hand fuhr damals über Wendells Augenbrauen, dessen Gesicht seit Jahren keine Hand mehr berührt hat. „Zitternd legte sich (Frank) mit seinem ganzen Gewicht auf mich und drückte sein Gesicht in meine Haare. Er stöhnte, als er langsam und unnachgiebig in mich eindrang, und dann wartete, pulsierend und reglos, bis mein Körper ihm glaubte, dass er nur ein weiterer Teil seiner selbst war. (S. 76)

Beide verbringen anschließend Ferien am Meer. Nichts hat damals so gut geschmeckt, wie Rührei mit Speck zum Frühstück und Küsse von feuchten Lippen. Fotos von ihnen gibt es keine. Es wäre zu gefährlich gewesen, einen Fremden um eine Aufnahme zu bitten. Auch Liebesbriefe sind kein Thema. Anfangs kam Frank, um zu vermeiden,  Wendells Nachbarn aufzufallen, unterhalb der Höhe ihrer Fenster die Straße entlang gekrochen. Wendell hat sich immer wieder die Bekanntschaft mit Franks Familie gewünscht, was der jedoch standhaft verweigert hat.

Um Frank das Leben und den Alltag zu erleichtern, plant Wendell die Anschaffung eines Hundes, mit dem er seinen Freund überrascht: Daisy. Sogen machte sich Frank vor allem wegen seiner Mama, die ihn früher immer mit Mädchen verkuppeln wollte. Sobald Daisy auf Franks Bett sitzt, ist es um ihn geschehen, weil sie ihn an seine verstorbene Bassett-Hündin Fancey erinnert.

Das einzige Mal, als Wendell Franks Mutter zu Gesicht bekommt, ist sie aus Anlass ihrer Beisetzung in einem Sarg aufgebahrt. Den Leichenschmaus der Familie nutzt Wendell, um im Auto auf Frank zu warten. Weil keiner wissen soll, dass sie ein Paar sind. Die Anschaffung eines bequemen Autos lehnt Frank aus Sparsamkeitsgründen ab. Wendell muss ihn daran erinnern, dass es keinen gibt, der sie beerben wird. Franks Hände in seinen Manteltaschen vermitteln Wendell den Eindruck eines zitternden Eichhörnchens im Nest.

Als Grund für ihr einsiedlerisches Leben – ohne Familie, Freunde, Nachbarn – gibt Frank an: „Sie müssten uns sonst einsperren, für das, was wir machen.“ Und bricht darüber in Tränen aus. Wendell erinnert sich daran, Frank damals am meisten geliebt zu haben. Und glaubt, das von ihm selbst nichts übrigbleiben wird, als seine Arbeit. Auch erinnert er sich daran, dass es ihnen im Alter von 37 Jahren schwergefallen wäre, zu begründen, nicht verheiratet zu sein.

Als Franks Lieblingstante überraschend zu Besuch kommt, ohne sich vorher angemeldet zu haben, weigert er sich, sie ins Haus zu lassen. Weil er Angst hat vor der Frage, wem die zweite Zahnbürste im Bad gehört und der Mantel am Garderobenhaken im Flur, der nicht seiner ist.

Um Frank eine Abwechslung zu verschaffen, nimmt Wendell ihn zum Einkaufen mit. Das Wagnis endet als Fiasko und Desaster im Kinderparadies, und im Misstrauen von Müttern, denen es unheimlich ist, dass Frank ihren Bälgern soviel Aufmerksamkeit schenkt. Weil sie ihn daran erinnern, sich selber Kinder gewünscht zu haben, um sich um ihre Erziehung zu kümmern und sie aufwachsen zu sehen. Was ihm versagt blieb, ebenso wie die Laufbahn als schulische Lehrkraft. Um der Notwendigkeit zum gesellschaftlichen Umgang mit seinen Kollegen und deren Familien vorzubeugen, also zu vermeiden, durch seine Freundschaft mit Wendell aufzufallen.

Wen beide früher Einkäufe tätigten, dann immer im jeweils eigenen Auto und mit zwei Einkaufswagen. Ihr Austausch erschöpfte sich in Einkaufstipps unter scheinbar Fremden und in der Empfehlung der besten Marmelade. Als Drama entpuppt sich Franks Entschluss zum Rasenmähen im Februar. Bei dem er die Kontrolle über das Gerät verliert. Weshalb Daisy in die sie zerfleischenden Messer gerät und verblutet.

Obwohl seine Mutter seit Jahren tot ist, ist Frank davon überzeugt, mit ihr zum Essen verabredet zu sein. Erste Anzeichen von Demenz machen sich bemerkbar. Dem Übersetzer ist es zu verdanken, dass Frank einen Schlagertext zitiert, in dem (frei nach Marianne Rosenberg) eine gewisse Marlen („Du kannst jetzt gehen!“) eine Rolle spielt. Die Frank in seiner Verwirrtheit witzigerweise als seine Tochter ausgibt.

Ein besonderes Highlight besteht für Frank, der keine Speisen mehr kosten kann, weil ihm seine Geschmacksnerven abhanden gekommen sind, in der Vorliebe für Früchtekuchen. Um ihm eine Freude zu machen, sorgt Wendell für die Anschaffung von sagenhaften 500 Packungen zum Sonderpreis von 250 $. Frank verschweigt ihm, die Meisten davon an Daisy verfüttert zu haben.

Ein Beleg für Franks Einsamkeit im Alter besteht in folgenden Zitaten: „Manchmal erscheint mir mein Leben, wie das eines anderen!“ Oder: „Man lebt und braucht keinen Grund dazu!“ Oder: „Wehe, wenn jemand was mitbekommt!“ Was auf eine zentrale Furcht von ihm anspielt. Frank gesteht Wendell, dass er gerne ein Teil der ihn umgebenden Welt gewesen wäre. Weiß aber, dass das nicht verwirklichbar war. Ihm also nicht weiterhilft. Sondern ihm und Wendell das Leben schwer macht.  „Aber“, so Frank: „Ich hatte solche Angst die ganze Zeit!“ Wendell: „Wovor?“ Frank: „Dass sie dich mir wegnehmen!“ 

Was Wendell an die Erfahrung des eigenen Abschieds von seiner Familie erinnert und daran, dass er damals, mit vierzehn Jahren auf einen Zug aufgesprungen ist und nur noch hatte sterben wollen. Was beiden so sehr Angst machte, all die Jahre über, dass sie sich nicht an die Öffentlichkeit wagten, erfahren wir auf S. 134 des Romans, auf der sein Autor darüber Auskunft gibt:

„Seit Mitte des Jahrzehnts (1950 igerJahre) erschienen in der Presse immer häufiger Nachrichten von Männern, die verhaftet wurden, sei es in Parks, in schmuddeligen Kneipen, oder in öffentlichen Bedürfnisanstalten, manchmal auch hinter den geschlossenen Türen ihrer Wohnungen oder hinter Hotelgardinen. Mit Namen, Adresse, Foto und Arbeitsplatz.  … Schlimmstenfalls wurden sie zu Gefängnisstrafen verurteilt oder in Krankenhäuser eingewiesen, wo man an ihrem ganzen Körper Elektroden anbrachte, auch an den Genitalien … Manche starben in dunklen Verliesen … Oder man fesselte sie … auf einen Tisch und kastrierte sie …“ (S. 134)

Und jetzt„, so Wendell, Jahrzehnte später, scheint es „als ob es ganz normal wäre … jetzt sind sie stolz und schwenken ihre Regenbogenfahne … und … entsteigen den Wellen der kalifornischen Strände … und bewundern ihre eigene Nacktheit … toben durch Straßen und tanzen halb nackt im Leder(Dress) oder im milchigen Dunst paillettenbesetzter Kleider und grapschen aneinander rum ….“ (S. 135)

Ein Trost besteht für Frank im Hinblick auf den von ihm zu verantwortenden Tod Daisys darin, dass Wendell es schafft, die Überreste der Hündin so zu präparieren, dass es ihm gelingt, Frank den Eindruck ihrer Lebendigkeit zu vermitteln. Für ihre Umwelt interessiert sich Frank nur in Gestalt täglich im Fernsehen übertragener Gerichtsshows, die über die Aufdeckung des Falls eines entführten, in Wahrheit von seiner Mutter ermordeten Jungen berichten. Und mich als Leser über jahrelange Meldungen über das in Spanien vermisste englische Mädchen Peggy erinnern, das nicht wieder aufgetaucht ist. Was ihre Eltern dem Verdacht aussetzte, ihre Finger mit dabei im Spiel zu haben.

Was meine Aufmerksamkeit nicht in ansatzweise vergleichbarem Umfang gefesselt hat. Vielleicht weil ich das Glück hatte, mich bereits vor fünfzig Jahren, im Alter von 22 Jahren, für einen Wechsel nach Berlin entschieden zu haben. Um damit der Hölle zu entrinnen, wie sie für  Wendell und Frank auf berührende Weise charakteristisch ist.

 

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