Neue Aspekte zur Pädophilie-Debatte

Kaum zu glauben, aber mit einem vor Tagen ins Netz gestellten BLOG-Beitrag Kampagnenjournalismus am Beispiel der Pädosexualität ist es mir gelungen, einen meiner Facebookfreunde gegen mich aufzubringen, ohne dies beabsichtigt zu haben. So sehr in Rage versetzt, dass er sich mir im Zustand hochgradiger Erregung nach einer schlaflos verbrachten Nacht  entfreundet hat. Was ich außerordentlich bedaure. Doch ließ die Nachricht, ihrem Sinn nach, darauf schließen, ihn tief enttäuscht zu haben. Grund: Mir unterstellte Gefühlskälte und ein Mangel an Empathie für betroffene Missbrauchsopfer. Dem war vorausgegangen, mich mehrfach zum Gegenstand und Ansprechpartner seiner Kritik gemacht zu haben. Im Rahmen der Forderung nach Aufarbeitung des Themas Pädophilie in den eigenen schwulen Reihen.

Die Richtung war auch halbwegs klar, schimmerte wenigstens durch, damit den Nachweis zu erbringen, alle Verantwortung an dem Desaster den linken Anführern der Schwulenbewegung der vergangenen Jahrzehnte anzulasten. Mit dem Ziel, sie zum Eingeständnis ihrer Verantwortung und Mitschuld am Schicksal betroffener Missbrauchsopfer zu veranlassen. Oder wenigstens zum Eingeständnis, mit der Nähe zu den Pädos und ihren damaligen Organisationen deren Wirkung begünstigt, mindestens aber, wenn nicht bewusst gefördert, sie billigend in Kauf genommen zu haben. Ziel der Kritik: sie nicht nur zum Sündenbock zu machen, sondern die ganze Bewegung – qua Kollektivschuld – in Misskredit zu bringen.

Während mein Beitrag dazu diente, darauf aufmerksam zu machen, damit einem gesellschaftlich sanktionierten Muster zu folgen, alles was nicht passt und peinlich berührt auszugrenzen und an den Pranger zu stellen. Was dem Gegenteil einer Auseinandersetzung damit entspricht. Mit meinem Beharren auf einem sachlichen, rationalen Umgang damit, ist es mir offenbar gelungen, einen seelisch Aufgewühlten zum erregten Widerspruch dagegen zu veranlassen.

Worüber Ich  mich nicht  beklagen möchte. Niemand hat mich gezwungen, den Mund aufzumachen. Genauso gut hätte ich mich in vornehmer Zurückhaltung üben können, um zu vermeiden, mich zur Zielscheibe von Angriffen zu machen. Was jedoch nicht meinem Bedürfnis entspricht. Weil es mir darum geht, zum Ausdruck zu bringen, dass mir Micha  Schulzes  mich berührendes, auf Queer.de publiziertes Bekenntnis, Respekt abverlangt.  Weil es der ehrenwerten Absicht entspricht, nicht zu seiner Entlastung beizutragen, sondern der Aufklärung eines Sachverhalts zu dienen, der uns alle im Rückblick darauf ratlos macht. Gleichwohl bin ich mir dessen bewusst, dass es nicht damit getan ist. Weil es wenig bringt, damit lediglich dem Muster der katholischen Beichte und der damit verbundenen Lossagung und Absolution zu folgen.

Während im säkularen Bereich die Arbeit dann erst beginnt. Im Rahmen des Prozesses der Aufarbeitung eines alle hochnotpeinlich berührenden Sachverhalts. Der beispielsweise die Partei Bündnis 90/Grüne veranlasst hat, anderen an vorderster Front voranzugehen. In Berlin ist man mit der Prognose von mutmaßlichen 1000 Missbrauchsopfern  wohl zu weit vorgeprescht und inzwischen wieder zurückgerudert. Weil genaue Zahlenangaben zum jetztigen Zeitpunkt nicht zur Verfügung stehen, das ganze also auf reiner Schätzung basiert

Auch der Tagespiegel hat am 26. Mai d. J. enthüllt, dass Kreuzberg viele Jahre lang eine Hochburg für pädosexuelle Umtriebe war. Neben anderen Bereichen – wie Kirchen, Schulen, Sportvereinen, Jugendverbänden und Familien – war aber auch die Szene der schwulen Bewegung davon betroffen. Was Elmar Kraushaar im Beitrag Höhenflug und Absturz  im von  Andreas Pretzel und Volker Weiß 2012 vorgelegten Band Rosa Radikale deutlich macht. In der Schilderung der Vorbereitung zu der in der Bonner  Beethovenhalle geplanten Anfang der 1980iger Jahre Veranstaltung Politiker auf dem Prüfstand. Wozu auch pädosexuelle Vertreter eingeladen waren. Unter anderem die berüchtigten Nürnberger Stadtindianer. Der Umgang mit ihnen war wohl ausschlaggebend dafür, das Vorbereitungskomitee veranlasst zu haben, die Pädophilie nicht zum Thema der Veranstaltung zu machen. Was pädophile Vertreteter zum Anlass nahmen, ihre Beteiligung daran unter Protest abzusagen.

Dass die Veranstaltung doch den Bach runterging hatten andere im Umfeld der IHB Initiative Homosexualität Bielefeld u.a. zu verantworten. Die mit erheblichem Störfeuer arbeiteten, um ihre Kritik daran zum Ausdruck zu bringen und die Veranstaltung platzen zu lassen.

In einem anderen von mir persönlich frequentierten Bereich dagegen ist es den Pädophilen sehr wohl gelungen, Fuß zu fassen. Als Ergebnis ihrer Beharrlichkeit, sich Zutritt zu verschaffen. Und zwar im Fall einer dem Thema Kindheit gewidmeten Ausgabe der BSZ (Berliner Schwulen Zeitung), die als Nr. 18 im Dezember 1979 erschienen ist. Die Redaktion des Blatts, deren Mitglied ich war, hatte ihr Domizil damals in den Räumen des SchwuZ (Schwulenzentrum) in der Schöneberger Kulmerstr. 20a.

Beabsichtigt war eine offene und unverklemmte Auseinandersetzung mit der Kindheit und Jugend Schwuler vor dem Hintergrund der Ausgrenzung, Stigmatisierung und Kriminalisierung ihrer sexuellen Orientierung. Die im Blatt dann in Gestalt zweier das Thema literarisierenden Beiträge vertreten war. Einmal in Eberhard Bechtles Text Goldenstein und Lichtenberg. In dem er seine Kindheit und Jugend im Schwarzwald zum Thema machte. Und in meiner eigenen Erzählung Der dumme Bruno,  der mir als Spiegelbild und Projektionsfläche diente.

Diese Ausgabe heute, 36 Jahre später, in Händen zu halten ist auch für mich Anlass zum Befremden. Weil darin zwei weitere Beiträge genauso viel Raum einnehmen: Peter Schults Stellungnahme Zur Situation der Pädophilenbewegung in der BRD und Olaf Stübens ihr entgegnende Erwiderung, in der er Schult widerspricht: Vom Durchbruch mithilfe der Schwulenbewegung habe ich wenig gemerkt.

Gemeint ist die Absicht, sich ihrer als Vehikel zur Verfolgung eigener Ziele zu bedienen. Die Frage anschließend:  Wieso verbinden uns Pädophile … nicht sehr viel mit der Schwulenbewegung? Um die Antwort darauf auf dem Fuß folgen zu lassen: Viele ’normale‘ Schwule nehmen von wegen Kriminalisierung ängstlich Abstand von uns. ((BSZ Nr. 18 v.Dez. 1979 S. 8 ff.)

Auch eine an gleicher Stelle nachzulesende Verlautbarung Stübens gibt Aufschluss darüber, wie groß seine Enttäuschung war über den erfolglosen Versuch in der HAW (Homosexuelle Aktion Westberlin) Fuß zu fassen: Horst Kirchmeier  (Mitglied der HAW) erzählte mir vom massiven Widerstand der ’normalen‘ Schwulen, als … in der HAW … eine päderastische Gruppe gegründet werden sollte. 

Warum es zu beiden, mich peinlich berührenden Beiträgen in der damaligen BSZ gekommen ist, erklärt vielleicht ein Hinweis darauf im Editorial des Blatts: Seit Monaten empfinden wir uns damit konfrontiert, dass Päderasten … uns mit ihren Ansprüchen bombardieren. Und wie hartnäckig sie ihre Ziele verfolgten ist in dem bereits erwähnten Artikel im Tagesspiegel über Kreuzberger Verhältnisse nachzulesen. In deren Rahmen es Pädos gelungen ist, das SO 36 zu unterwandern und zum Schauplatz ihrer Umtriebe zu machen.  Zu berücksichtigen, aber nicht zu entschuldigen, ist, dass neben der BSZ später auch noch andere Publikationsorgane betroffen waren. Beispielsweise die TAZ und Zitty. Die ebenfalls, zu einem späteren Zeitpunkt, mit Selbstdarstellungs- und Artikulationsansprüchen der damals umtriebigen päderastischen Szene  konfrontiert waren. Deren Mitglieder sich gerne der Homosexualität als Schutzschilds bedienten.

So hat es Olaf Stüben beispielsweise geschafft, in der TAZ mit dem Ticket als Vertreter der Schwulenbewegung Fuß zu fassen. Allen drei Blättern war es eigentümlich, ihrer jeweiligen Klientel als Plattform zu dienen. Weshalb sie Ansprüchen aus diesen Bereichen ungefiltert gegenüberstanden und deren Beiträge 1 zu 1 im jeweiligen Blatt ihren Niederschlag fanden. Zum Beispiel war eine Ausgabe der BSZ dem Thema Leder und Fetischismus gewidmet. Und hat deren Anhängern und Vertretern die persönliche Selbstdarstellung ermöglicht. Diese Ausgabe war nebenbei gesagt, die mit der insgesamt höchsten Auflage der BSZ überhaupt im Umfang von 3000 Exemplaren, die man uns damals aus den Händen gerissen hat. Was im Rahmen der Ausgabe zum Thema Kindheit nicht mal ansatzweise der Fall war, dank wesentlich bescheidenerer Nachfrage.

An dieser Stelle möchte ich auch der Auffassung widersprechen, es im Zusammenwirken von Schwulen und Pädos mit einer Art Augenzwinkernden Kumpanei zu tun zu haben. Allen davon Betroffenen war in Verbindung damit immer ein Unbehagen bewusst. Das ist sowohl im Beitrag von Thomas Birk (Grüne) als auch in dem von Micha Schulze (Queer.de) spürbar. Es ist auch absolut falsch, davon auszugehen, dass der Erfolg der Pädos in der Schwulenbewegung im Entgegenkommen ihrer linken Kader und Führungspersönlichkeiten begründet war. Die diesen fördernd oder wenigstens billigend begleitet haben sollen. An diesem Bild stimmt zweierlei nicht: Erstens war die Schwulenbewegung zu keiner Zeit homogen und überschaubar, also keineswegs straff durchorganisiert. Sondern ein selten einiger, in sich zerstrittener Haufen unterschiedlicher Individuen, die vor allem sich selbst verpflichtet waren. Im Rahmen einander ablösender ideologisch begründeter Zerwürfnisse und persönlicher Animositäten. Wie  anhand des Tuntenstreits in Berlin oder der Bonner  Beethovenhalle nachvollziehbar.

Führungspersönlichkeiten, die manche Kritiker in der Schwulenbewegung ausmachen wollen, hätten keine Chance gehabt, sich gegen die Macht von Trillerpfeifkonzerten durchzusetzen. Doch hat gerade die mangelnde Homogenität der Szene dazu beigetragen, dass es Pädophilen vereinzelt möglich war, in sie einzutauchen. Nicht als Teil davon, sondern als U-Boot in Unterwanderungsabsicht, wie es Olaf Stüben in besagter Ausgabe der BSZ zum Ausdruck gebracht hat. Alle Verlautbarungen, in denen eine Berührung mit pädophilen Kräften anklingt, lassen ahnen, dass immer Vorbehalte  mit ihm Spiel waren. Niemand hat die Pädos als solche zur Mitarbeit eingeladen. Ihre Absichten waren immer nur zu ahnen und nicht unmittelbar auf Anhieb präsent und abrufbar. Wahr ist auch, dass das Klima in der Schwulenbewegung dafür günstig war. Entsprechend einer derartigen Verlautbarung im bereits erwähnten Editorial der BSZ:  Die Abgrenzung der Päderasten von den Schwulen, der Tunten von den Kerlen, der Schwulen von den Homophilen, der Jungen von den Alten, breitet sich epidemieartig aus. Nachvollziehbar als Anspielung darauf, dass noch im Vorfeld zum ersten CSD am 30. Juni 1979 radikale Tunten im SchwuZ davon überzeugt waren, es in den Anhängern und Mitgliedern des MSC Berlin mit ihren Gegnern zu tun zu haben. Die es sich als Lederschwule und – Fetischisten gefallen lassen mussten, sie faschistoider Tendenzen zu bezichtigen.

Trotzdem waren alle zur Teilnahme daran eingeladen. Gerade auch Lesben. Obwohl zu ihnen damals allenfalls diplomatische Beziehungen bestanden. Auch Tunten und gewöhnliche Homosexuelle waren selbstverständlich beim ersten CSD vertreten. Vereinzelt sind auch Anhänger des MSC (Motorsport Club) Berlin unserem Aufruf gefolgt. An die Teilnahme ebenfalls per Aufruf dazu eingeladener Pädos habe ich jedoch keine Erinnerung. Richtig ist, dass gerade der erste CSD aus Anlass des zehnten Jahrestages von Stonewall in Berlin ein Anlass dazu war, die Organisatoren, (u. a. Andreas Pareik, der die Veranstaltung als politische Demonstration anmeldete, und mich) zu motivieren, mit dem Gedanken zu spielen, die zerstrittene und in sich uneinige lesbisch/schwule Subkultur Berlins nach Jahren  streitiger Auseinandersetzungen gemeinsam auf die Straße zu bringen. Unter dem Motto: „Mach dein Schwulsein öffentlich“ (während sich Frauen an ihrer eigenen Losung orientierten: „Lesben erhebt euch, und die Welt erlebt euch!“) Für alle war der CSD von Anfang an dazu da, vor allem zu unserer Sichtbarmachung beizutragen und unsere Forderungen und Belange an die Öffentlichkeit zu tragen. Daneben bestand aber immer auch der Anspruch auf die Feier unseres schwulen Stolzes und Selbstbewusstseins. Weil der Spaß daran auch nicht zu kurz kommen sollte.

Mein Fazit: Es gab Berührungspunkte mit Vertretern pädophiler Organisationen, wie der DSAP (Deutsche Studien und Arbeitsgemeinschaft Pädophilie), aber keine explizite Unterstützung ihrer Ziele und Absichten oder gar Zusammenarbeit.

Schuldig im Sinne der Anklage sind die schwulen Akteure von damals, also auch ich, jedoch in einem wesentlichen Punkt: Dem Mangel an Aufmerksamkeit für die Opfer pädophiler Nachstellungen. Es ist keine Entschuldigung, damit nicht alleine zu sein. Was nichts beschönigen oder rechtfertigen soll. Wahr ist auch, dass gerade Schwule aufgrund ihrer besonderen Betroffenheit und Verantwortung einen Aufarbeitungsbedarf haben. Ebenso wie die Grünen, denen es ebenfalls obliegt, voranzugehen. Auch auf die Gefahr hin, dass man mit dem Finger auf sie zeigt. Weil andere gesellschaftlichen Gruppen immer rasch damit bei der Hand sind, sich aus der Verantwortung zu stehlen und mit dem Finger auf andere zu zeigen, als Schmuddelkinder im Verein mit anderen solchen. In der katholischen Kirche hat man auch längst bereits wieder den Deckel darauf gemacht. Um die eigenen Hände in Unschuld zu waschen. Alles wie gehabt. Immerhin haben ihnen die Iren mit ihrem Referendum zur Homoehe einen Denkzettel verpasst.

Was jedoch alle zahlreichen Missbrauchsopfer betrifft, hilft ihnen kein ausschließlich emotional aufgeladener Umgang damit, aber die sachliche, nüchterne Feststellung der Notwendigkeit vielleicht, die Täter in die Lage zu versetzen, den auf ihnen lastenden Druck beherrschen zu lernen. Und zwar in erster Linie unter ärztlicher und nicht ausschließlich strafrechtlicher Aufsicht und Begleitung. Etwa im Rahmen jenes von der Berliner Charité entwickelten Programms. Sich damit zu begnügen, die Täter an den Pranger zu stellen, ist nicht ausreichend, um den Opfern damit zu dienen. Mit dem Ziel,  sie vor weiteren pädophilen Nachstellungen zu schützen. Was auf dem Boden der inzwischen wieder spürbaren  Verdrängung, Vertuschung und des Totschweigens jedoch nur schwer vorstellbar ist.

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