Die Metamorphose des Eddy Bellegueule alias Eduard Louis

Ein deutsch-französischer Dialog im Palais der Berliner Kulturbrauerei, am Donnerstag, den 12. März 2015, ab 20 Uhr, aus Anlass der Vorstellung von Edouard Louis  im S. Fischer Verlag erschienenen Romans Das Ende von Eddy.  Flankiert von Hinrich Schmidt-Henkel, seinem deutschen Übersetzer, Nils Minkmar (FAZ) als Moderator und dem Staatsminister für  deutsch-französische Beziehungen im Auswärtigen Amt Michael Roth – in der Rolle der Herausforderers und Stichwortgebers, die alle das Berlin-Debüt des jungen französischen Autors begleiteten und es gemeinsam mit ihm zu einem bedeutenden Ereignis machten. Wobei es dem Politiker in der Runde vorbehalten bleiben sollte, etwas andere Akzente zu setzen. Indem er die deutsche politische Szene gegen die Frankreichs in Stellung brachte. 

Wobei sich der Disput an der Frage entzündete, wieweit ein Verständnis für die von einem früheren SPD-Vorsitzenden als Prekariat Charakterisierten ihrer Rechtfertigung dient, und wieweit ein Verstehen wollen bereits zum Verständnis für ihre Beweggründe und ihres Handelns führt. Anstatt ihnen den Boden zu entziehen, als dem Humus auf dem Gewalt, Hass, menschenverachtender Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Homophobie gedeihen. Wie sie sich in der französischen Bewegung des Front National oder in der deutschen PEGIDA widerspiegeln. Die sich mit zunehmendem Erfolg artikulieren und zumindest in Frankreich auf dem Weg sind unaufhaltsam bis an die Spitze der politischen Macht vorzudringen. Als Sprachrohr derjenigen, die wie die Eltern des Autors bislang nicht über die Möglichkeit verfügten, sich anders als dumpf zu artikulieren. Und in des Autors Entwicklung eine wichtige Rolle spielten. Vor dem Hintergrund des Koordinatensystems von Gewalt und Hass, dem der Protagonist als Heranwachsender ohnmächtig ausgeliefert war. Solange er bereit war, die Rolle und Funktion des schwulen Opfers auszuüben.

Von Eddys Eltern war die Rede, als den Anhängern und Wählern Marin Le Pens und der Montagsdemonstrationen der Anhänger der deutschen PEGIDA, denen Michael Roth als Staatsminister, anders als Sigmar Gabriel, kein Verständnis entgegenbringen will. Es drehte sich dabei um das Missverständnis, wie weit das von unserem Autor an den Tag gelegte Verstehen wollen ihm als soziologisches Instrument dient, zur Überwindung einer Sache, oder ob dies die Gefahr der Akzeptanz in sich birgt.

Von Eddy selber, der geschundenen Seele, die viel auszuhalten hatte, solange er bereit dazu war und seinem grandiosen Bericht darüber, wie es ihm gelungen ist, der Picardie als seiner Heimat und Landschaft zu entfliehen, um sich in Paris neu zu erfinden, war im weiteren Verlauf des Abends kaum noch die Rede. Was möglicherweise daran liegt, dass man seinem aufrüttelnden und tief berührenden Selbstbekenntnis aus verkaufsfördernden Gründen, fälschlicherweise das Etikett des Romans angeklebt hat, als Stempel, der alles und jedes rechtfertigt. Auch meine Prognose, dass vom Autor auch künftig die Rede sein wird, aber weniger als Romancier, sondern als bedeutendem Vertreter einer neuen Generation von Vordenkern in Frankreich, als einem Land im Umbruch und in der Krise. Das sich, wie Deutschland, bewähren muss.

Mehr jedoch als die wirtschaftlich starke Bundesrepublik steht die französische Republik auf dem Prüfstand und an einer Wegmarke, an der es sich entscheidet, ob die Anhängerschaft der Front National mit ihrem dumpfen Rassismus und ihrer reaktionären, homophoben und antisemitischen Gesinnung Frankreich aus den Angeln heben wird. Oder ob die französische Nation in der Lage ist, dem zu widerstehen. Um einen anderen Weg einzuschlagen. Der nicht dem Michel Houellebecqs in seinem Roman Unterwerfung entspricht. Als Weg der Unterwerfung Frankreichs unter den Islam.

Es wäre zu wünschen und Eddys grandiose Arbeit an sich selbst lässt darauf hoffen, dass der spektakuläre Erfolg des Romans in Frankreich eine andere Richtung aufzeigt, als den Untergang einer großartigen Nation und ihres Scheiterns an sich selbst.  Auch das lange Defilé von Anhängern dieser Idee, denen es ein Bedürfnis war, dem noch blutjungen Autor und Mann des Tages an diesem Abend ihre Referenz zu erweisen und Sympathie zum Ausdruck zu bringen, würde ich mir als Fingerzeig wünschen, im Sinne dieser Entwicklung des Siegs des Lichts über die dumpfen Niederungen und Abgründe der Seelenlosigkeit. Ein Ziel, dem sich auch der Autor des an diesem Abend präsentierten grandiosen Werks verpflichtet sieht. Ebenso wie sein Kontrahent aus dem Bereich der Niederungen der Politik, der sich in der Rolle des advocatus diaboli gefiel. Im Sinne eines nicht zu rechtfertigenden Optimismus, wenn er darauf besteht, dass sich hierzulande schon viel getan hat, in den letzten Jahrzehnten, seit er, wie Eddy Jahre nach ihm, in seiner nordhessischen Provinz aufgebrochen ist, um sich in der Politik nützlich zu machen. Indem er auf seinem Weg nicht mit Scheuklappen unterwegs war, wie diejenigen, die sich im Fall Eddys darin gefielen, ihn das Fürchten zu lehren.

Nur eine einsame Stimme im Publikum machte darauf aufmerksam, in unserer gegenwärtigen Kanzlerin über einen latent homophoben Menschen zu verfügen. Um auch beim Autor auf dem Podium Beifall dafür zu finden. Einer unter zahlreichen Anwesenden, die an diesem Abend zum Ausdruck brachten, über den festen Willen und die Absicht zu verfügen, sich an Eddys Bericht und Selbstbekenntnis zu orientieren. Wie es auch der anwesende Pressevertreter in seiner abschließenden Moderation zum Ausdruck brachte. Keiner hat es dagegen dem Übersetzer gedankt, schier menschenunmögliches geleistet zu haben. Alle waren aber damit einverstanden, von dem Autor des Romans über Eddy noch viel  erwarten zu dürfen, als Denker und Publizist.

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